Am Ende sind alle Menschen
In seinem Stück Kinder der Sonne erzählt Maxim Gorki von der großen Kluft
zwischen Elite und Prekariat. Ein Ausblick auf die erste Premiere
„Ich träume von einem Bild: ein Schiff auf dem Ozean. Gefräßige grüne Wellen greifen nach ihm. Am Bug und auf den Decks starke, vertrauenerweckende Menschen. Alle mit offenen, wachen Gesichtern. Sie lächeln stolz und sehen weit nach vorn.“ – „Meinetwegen kann auch ein Sturm losbrechen. Aber von vorn leuchtet dem Schiff die Sonne entgegen.“ (aus „Kinder der Sonne“)
Der Wissenschaftler Protassow, seine Frau Jelena und ihre Freund*innen würden sich auf diesem Bild wiederfinden, fühlen sie sich doch aus unterschiedlichen Gründen als von der Sonne beschienen. Entweder betreiben sie leidenschaftlich Forschung, suchen Selbstverwirklichung in der Kunst, zeigen Engagement mit guten Taten oder finden ihr Heil in großen Gefühlen. Aber sie ignorieren dabei die Situation jener Menschen um sich herum, die in prekären Verhältnissen leben und arbeiten. Wie reagieren sie, wenn tatsächlich ein Sturm auf Sie zukommt?
Der russische Schriftsteller Maxim Gorki (1868-1936) wuchs in bildungsfernen, von Gewalt und Misshandlungen geprägten Verhältnissen auf. Schon als Elfjähriger musste er sich mit verschiedenen Jobs allein über Wasser halten. Trotz einer nur zweijährigen Schulbildung las er bald alles, was ihm zwischen die Finger kam, und begann als mündlicher Erzähler. Er durchwanderte zu Fuß das riesige Zarenreich, lernte die Ärmsten der Armen, die ruinierten und gescheiterten Menschen auf den Straßen kennen. Mit 16 politisierte er sich durch Kontakte zu revolutionären Studierenden. Erste Erzählungen veröffentlichte er mit Mitte 20 und wurde bald weit über Russlands Grenzen hinaus bekannt. Später entstanden aus seiner Feder auch Theaterstücke. „Kinder der Sonne“ begann er während einer Haft Anfang 1905 zu schreiben. Er war Augenzeuge geworden, wie friedlich demonstrierende Menschen vor dem Winterpalais in St. Petersburg von zaristischen Truppen niedergeschossen wurden. Das Massaker mit vielen Toten ging als „Petersburger Blutsonntag“ in die Geschichte ein. Gorki verfasste einen Aufruf zum Widerstand und wurde von der Polizei verhaftet. Allerdings kam er – zu dieser Zeit schon eine Berühmtheit – nach einem Proteststurm, auch aus dem europäischen Ausland, bald wieder frei. Das Stück, im Oktober 1905 in St. Petersburg uraufgeführt, erzählt von einer großen Kluft zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, die Gorki selbst schmerzhaft empfunden hatte. Die blutigen Zeitereignisse liegen dabei wie eine Folie darunter. In Bettina Jahnkes Inszenierung wirkt in einer großen Szene auch die Bürgerbühne mit.
„Die Kinder der Sonne müssen am Schluss erkennen, wie dünn der Firnis der Zivilisation ist, der die Gesellschaft zusammenhält: Die Revolte lässt ihr Leben wie ein Kartenhaus zusammenbrechen und plötzlich – im Angesicht des Todes – sind sie alle nur Menschen. Vielleicht ist diese Erkenntnis ein Ausweg, hin zu einem Miteinander und einem Dialog über Gräben von Herkunft und Idealen, über alle unterschiedlichen Werte und Haltungen hinweg.“ (Regisseurin Bettina Jahnke)
Bettina Jantzen
erschienen in: ZUGABE 02-2022
Der Wissenschaftler Protassow, seine Frau Jelena und ihre Freund*innen würden sich auf diesem Bild wiederfinden, fühlen sie sich doch aus unterschiedlichen Gründen als von der Sonne beschienen. Entweder betreiben sie leidenschaftlich Forschung, suchen Selbstverwirklichung in der Kunst, zeigen Engagement mit guten Taten oder finden ihr Heil in großen Gefühlen. Aber sie ignorieren dabei die Situation jener Menschen um sich herum, die in prekären Verhältnissen leben und arbeiten. Wie reagieren sie, wenn tatsächlich ein Sturm auf Sie zukommt?
Der russische Schriftsteller Maxim Gorki (1868-1936) wuchs in bildungsfernen, von Gewalt und Misshandlungen geprägten Verhältnissen auf. Schon als Elfjähriger musste er sich mit verschiedenen Jobs allein über Wasser halten. Trotz einer nur zweijährigen Schulbildung las er bald alles, was ihm zwischen die Finger kam, und begann als mündlicher Erzähler. Er durchwanderte zu Fuß das riesige Zarenreich, lernte die Ärmsten der Armen, die ruinierten und gescheiterten Menschen auf den Straßen kennen. Mit 16 politisierte er sich durch Kontakte zu revolutionären Studierenden. Erste Erzählungen veröffentlichte er mit Mitte 20 und wurde bald weit über Russlands Grenzen hinaus bekannt. Später entstanden aus seiner Feder auch Theaterstücke. „Kinder der Sonne“ begann er während einer Haft Anfang 1905 zu schreiben. Er war Augenzeuge geworden, wie friedlich demonstrierende Menschen vor dem Winterpalais in St. Petersburg von zaristischen Truppen niedergeschossen wurden. Das Massaker mit vielen Toten ging als „Petersburger Blutsonntag“ in die Geschichte ein. Gorki verfasste einen Aufruf zum Widerstand und wurde von der Polizei verhaftet. Allerdings kam er – zu dieser Zeit schon eine Berühmtheit – nach einem Proteststurm, auch aus dem europäischen Ausland, bald wieder frei. Das Stück, im Oktober 1905 in St. Petersburg uraufgeführt, erzählt von einer großen Kluft zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, die Gorki selbst schmerzhaft empfunden hatte. Die blutigen Zeitereignisse liegen dabei wie eine Folie darunter. In Bettina Jahnkes Inszenierung wirkt in einer großen Szene auch die Bürgerbühne mit.
„Die Kinder der Sonne müssen am Schluss erkennen, wie dünn der Firnis der Zivilisation ist, der die Gesellschaft zusammenhält: Die Revolte lässt ihr Leben wie ein Kartenhaus zusammenbrechen und plötzlich – im Angesicht des Todes – sind sie alle nur Menschen. Vielleicht ist diese Erkenntnis ein Ausweg, hin zu einem Miteinander und einem Dialog über Gräben von Herkunft und Idealen, über alle unterschiedlichen Werte und Haltungen hinweg.“ (Regisseurin Bettina Jahnke)
Bettina Jantzen
erschienen in: ZUGABE 02-2022