Ein wildes Jahr im Fokus
In der vierteiligen Lesereihe "Das Jahr 1990 freilegen" widmet sich das Hans Otto Theater der seltenen Fülle geschichtlicher Ereignisse von damals. Von René Schwittay
Während der Proben zu „Wir sind auch nur ein Volk“ suchte ich nach Literatur über die Wendezeit. Dabei stieß ich im Literaturladen von Carsten Wist auf das Buch „Das Jahr 1990 freilegen“. Obwohl ich mich mittlerweile als „ossimiliert“ bezeichnen würde, bin ich doch im Westen geboren und sozialisiert. Zum Zeitpunkt des Mauerfalls war ich elf Jahre alt. So reicht denn meine Erinnerung an diese Zeit über Fernsehbilder und einen ersten Urlaub an der Mecklenburgischen Seenplatte und den Besuch von Verwandten in Neustrelitz nicht hinaus. Die politischen Aspekte dieser Umbruchszeit spielten in meinem persönlichen Erleben keine Rolle.
Umso erstaunlicher war für mich die Fülle der Ereignisse, die dieses Buch durchziehen – von den Silvesterfeierlichkeiten am Brandenburger Tor über die Besetzung der Stasi-Zentrale in der Normannenstraße, die Volkskammerwahl, die Gründung der Treuhand, den Einmarsch amerikanischer Truppen in den Irak bis hin zum Tag der Wiedervereinigung und am Ende die Bundestagswahl, um nur einige zu nennen. Über all diese Ereignisse und noch viele mehr hat Jan Wenzel Bücher und Fotos zusammengetragen, die ein vielstimmiges Bild dieser turbulenten Zeit der Transformation zeichnen, ein collagenhaftes Kaleidoskop, das auch Einzelschicksalen Raum gibt. Seine Lektüreerfahrungen und das daraus entstandene Buch, das versucht, dieser Erfahrung eine Form zu geben, bezeichnet er als performatives Lesen, die Spur einer Suchbewegung, die für andere nachvollziehbar werden soll.
Auf diese Suchbewegung durch das Jahr 1990 möchten wir unser Publikum gern an vier Abenden in der Reithalle mitnehmen, um unsere Lektüreerfahrung zu teilen und uns gemeinsam in diese Zeit zu versetzen, ihre Stimmung, den Jubel, die Enttäuschungen. Vielleicht schaffen wir es an diesen Abenden nachzuzeichnen, wo die Momente lagen, die bis in unsere Gegenwart reichen. Damals betrat das Internet die Bühne, und Michail Gorbatschow telefonierte zum ersten Mal mit einem Mobiltelefon – einem Gegenstand, der heute nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken ist. 1990 war vieles neu und ungewohnt – so wie für den westdeutschen Autor Anton Steinheim, den ich im oben genannten Stück sehr zu meiner Freude vor ausverkauftem Haus spielen durfte. Diesem Steinheim war der Osten völlig fremd, ein unentdecktes Land. Ein Buch wie „Das Jahr 1990 freilegen“ hätte ihm gut zur Seite gestanden. Ich freue mich im Jahr 2020, mehr als 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, auf die Neugierde und die Erinnerungen der Potsdamer*innen.
Wir sehen uns 1990.
René Schwittay wuchs in Nordrhein-Westfalen auf. Er studierte von 1999 bis 2002 Schauspiel an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg. Bereits während seines Studiums spielte er am Hans Otto Theater. Seit der Spielzeit 2009/10 ist René Schwittay festes Ensemblemitglied des Hans Otto Theaters.
Umso erstaunlicher war für mich die Fülle der Ereignisse, die dieses Buch durchziehen – von den Silvesterfeierlichkeiten am Brandenburger Tor über die Besetzung der Stasi-Zentrale in der Normannenstraße, die Volkskammerwahl, die Gründung der Treuhand, den Einmarsch amerikanischer Truppen in den Irak bis hin zum Tag der Wiedervereinigung und am Ende die Bundestagswahl, um nur einige zu nennen. Über all diese Ereignisse und noch viele mehr hat Jan Wenzel Bücher und Fotos zusammengetragen, die ein vielstimmiges Bild dieser turbulenten Zeit der Transformation zeichnen, ein collagenhaftes Kaleidoskop, das auch Einzelschicksalen Raum gibt. Seine Lektüreerfahrungen und das daraus entstandene Buch, das versucht, dieser Erfahrung eine Form zu geben, bezeichnet er als performatives Lesen, die Spur einer Suchbewegung, die für andere nachvollziehbar werden soll.
Auf diese Suchbewegung durch das Jahr 1990 möchten wir unser Publikum gern an vier Abenden in der Reithalle mitnehmen, um unsere Lektüreerfahrung zu teilen und uns gemeinsam in diese Zeit zu versetzen, ihre Stimmung, den Jubel, die Enttäuschungen. Vielleicht schaffen wir es an diesen Abenden nachzuzeichnen, wo die Momente lagen, die bis in unsere Gegenwart reichen. Damals betrat das Internet die Bühne, und Michail Gorbatschow telefonierte zum ersten Mal mit einem Mobiltelefon – einem Gegenstand, der heute nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken ist. 1990 war vieles neu und ungewohnt – so wie für den westdeutschen Autor Anton Steinheim, den ich im oben genannten Stück sehr zu meiner Freude vor ausverkauftem Haus spielen durfte. Diesem Steinheim war der Osten völlig fremd, ein unentdecktes Land. Ein Buch wie „Das Jahr 1990 freilegen“ hätte ihm gut zur Seite gestanden. Ich freue mich im Jahr 2020, mehr als 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, auf die Neugierde und die Erinnerungen der Potsdamer*innen.
Wir sehen uns 1990.
René Schwittay wuchs in Nordrhein-Westfalen auf. Er studierte von 1999 bis 2002 Schauspiel an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg. Bereits während seines Studiums spielte er am Hans Otto Theater. Seit der Spielzeit 2009/10 ist René Schwittay festes Ensemblemitglied des Hans Otto Theaters.
veröffentlicht in ZUGABE MAGAZIN 03-2020