Wahnsinn im Galopp

Esther Hattenbach arbeitet in zwei Berufen – als Psychologin und Regisseurin. Nach „Occident Express“ in der vorigen Saison bringt sie nun Eugène Ionescos absurde Groteske "Die Nashörner" auf die Bühne des Hans Otto Theaters.
„Ideologie hat viel mit Bedürfnissen zu tun“: Regisseurin Hattenbach
Berlin Prenzlauer Berg – der ehemalige Arbeiterbezirk ist verschrien für Helikopter-Eltern und Touristenschwärme, die versuchen, am Sonntag auf dem Mauerpark-Flohmarkt ein einmaliges Berlin-Souvenir zu ergattern. Mittendrin, in einer weitläufigen Altbauwohnung, lebt Esther Hattenbach. Wir sind zum Kaffee verabredet, um über ihre neue Produktion am Hans Otto Theater zu sprechen: „Die Nashörner“ von Eugène Ionesco. Es ist ihre zweite Regiearbeit in Potsdam. Wir sitzen am Küchenfenster und schauen auf den ruhigen Hinterhof. Im Hintergrund läuft Klaviermusik.

Esther Hattenbachs Theaterliebe begann schon in der Kindheit. Ihr Vater sei ein leidenschaftlicher Kulturmensch gewesen. In der DDR hatte der Physiker Berufsverbot, nach der Wende wurde er Kulturdezernent in Jena und gründete das inzwischen weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Theaterhaus Jena. Das politisch und künstlerisch ambitionierte Theater prägte Esther Hattenbach. Schnell war ihr klar, dass auch sie später im Theater arbeiten will. Nach dem Abitur studierte sie Regie an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater, um im Anschluss in ganz Deutschland zu inszenieren.

Neun Jahre später erfand sie sich noch einmal neu. Neben ihrer Theaterarbeit begann sie Psychologie zu studieren und bekam zwei Kinder. Bis heute arbeitet sie in beiden Berufen. „Mich interessiert das Verhalten von Menschen. Sonst haben meine beiden Professionen nicht viel miteinander zu tun. Ich glaube, was man im Theater als psychologisch bezeichnet, ist einfach der Versuch, Dinge, die unlogisch sind, logisch zu machen.“ Inzwischen gibt es aber doch eine Überschneidung: In ihrer psychologischen Arbeit werde sie mit realen Schicksalen konfrontiert. „Während ich an ,Occident Express’ arbeitete, habe ich eine vietnamesische und zwei syrische Familien betreut und mich natürlich nach deren Fluchtgeschichten erkundigt. Diese Menschen begleiten mich. Ihre Geschichten fließen dann automatisch wieder in meine Theaterarbeit ein.“

Im Gegensatz zur sehr realen Fluchtthematik in „Occident Express“ wird es in „Die Nashörner“ absurd-lustig zugehen. Ionescos Stück, in dem der rumänisch-französische Autor zunächst eine normale Gesellschaft beschreibt, wurde 1959 in Düsseldorf uraufgeführt. Nach und nach verwandeln sich darin die Menschen der Stadt in Nashörner. Plötzlich ist das Fremde normal – und alle außer Behringer, die Hauptfigur im Stück, wollen sich anpassen und ebenfalls zum Nashorn werden.

Die Aktualität war Hattenbach schon beim ersten Lesen klar: „Ionescos Figuren plappern meist einfach nur irgendwas heraus. So, wie es heute oft in den sozialen Medien geschieht. Die Welt ist so unübersichtlich geworden. Aus den Phrasen, die wir lesen und einfach weitergeben, entstehen Stimmungen, aus Stimmungen gesamtgesellschaftliche Radikalisierungen.“ Die Auseinandersetzung mit Ideologie und der Frage, wie viel davon in uns und unserer Sprache steckt, interessiere sie, denn „Ideologie hat viel mit Bedürfnissen zu tun, und diese wiederum sind etwas sehr subjektiv Menschliches. Diese Wechselbeziehung ist spannend.“ Ionescos tragikomische Geschichte bietet die Möglichkeit eines verrückten Zugriffs auf die Realität.

Elena Iris Fichtner


veröffentlicht in ZUGABE MAGAZIN 01-2020