Das Theater hinter’m Haus
Vor Corona stand er oft und gern auf der Bühne des Hans Otto Theaters – nun muss er zu Hause bleiben. Doch er spielt munter weiter ... Die Geschichte einer Verwandlung. Von Joachim Berger
Hinter unserem Haus gibt es ein Theater. Ich habe es erst kürzlich ent-deckt. Nachdem die Schulen und Kitas geschlossen worden waren, hatte ich angefangen, Gedichte für die Kinder an die Hauswand zu heften – auf Augenhöhe, dort, wo sie ihre Bobby-Cars und Fahrräder parken. Das erste so platzierte Gedicht, so riefen mir zwei im Baum kletternde Mädchen zu, sei „langweilig“ – und überhaupt „kenne“ man ja Gedichte. Es ging darin um zwei Hamburger Ameisen, die weise ge-nug sind, ihre Reise nach Australien abzubrechen, denn „bei Altona auf der Chaussee, da taten ihnen die Beine weh“. Ich fand es überhaupt nicht langweilig. Im nächsten Gedicht gab es etwas über die „weißen Riesenhasen & goldnen Flügelkröten“ zu lesen. Irgendwann lag ein Papier im Briefkas-ten: eine Zeichnung mit einem schön geschriebenen „Danke“, und eines Tages klebte sogar ein selbstgemaltes Bild auf unserer Wohnungstür. Dichtung und ihre Antworten ...
Aber auch die Kinder selbst machen den Raum hinter unserem Haus zu einem Kunstraum, indem sie den Boden mit Kreidefiguren bemalen. Und als ich hier einmal einem Cowboy, einem Löwen und gleich zwei Königinnen begegnete, hielt ich den Zeitpunkt für gekommen, einen bestimmten Koffer aus dem Keller zu holen: „Das Gespenst von Canterville“.
Für einen Samstagnachmittag wurde die Vorstellung angekündigt. Ich hatte sie auf eine Stunde veranschlagt. Ich versprach, mich zu verkleiden, worauf Wert gelegt wurde, und nahm mir nochmal den Text vor. Allzu gruselig durfte es natürlich nicht werden. Zu Beginn hatten sich alle Nachbarn versammelt – auf Balkonen, in Fenstern, auf dem Rasen, in Sesseln, die weit auseinander platziert worden waren. Ich hielt eine kurze Einleitung und erwähnte auch die mitgebrachten süßen Waffeln, die bei allzu heftig auftretendem Grusel genossen werden konnten.
Die Vorstellung beginnt. Den Monolog, in dem neun Figuren auftreten, hatte ich zwar schon einige Male gespielt, aber nun versuche ich vor den parkenden Autos, Büschen, neben dem Sandkasten, eine gewisseTheatralität zu entfalten. Der Wind erzählt mit, ein kläffender Hund. Bei der Erwähnung des Cantervill’schen Blutflecks auf dem Boden der Schlossbibliothek glaube ich wirkliches Entsetzen in den Gesichtern zweier Kinder zu lesen. „Blut ... oh!“ Kurz flammt der Gedanke auf: Vielleicht doch zu gruselig? Er verflüchtigt sich aber sofort, als ich weiter-spielend bemerke, dass die Zuschauer sich altersunabhängig über die greise Haushälterin Misses Umney amüsieren. Und als das Gespenst schließlich auf seinen Auftritt als „Geist der jammernden Kindergartentante“ zu sprechen kommt und die Kinder auflachen, habe ich das Gefühl, es läuft. Wir nehmen Fahrt auf. Mein Kostüm, das aus einem selbstbemalten, normalerweise im Schwarzlicht leuchtenden Skelett-T-Shirt besteht, verfehlt trotz Nicht-Phosphoreszierens seine Wirkung nicht: Ich bemerke ein kurzes, lustvolles Gruseln im Publikum, als es zum ersten Mal zu sehen ist.
Alle sind gut eingepackt an diesem kühlen, späten Nachmittag. Die Erzählung vom Gespenst und die Waffeln ergänzen sich hervorragend. Die Nachbarn auf dem Balkon müssen sich natürlich ab und zu um die Babys kümmern – man geht weg, kommt wieder. Als die Vorstellung zu Ende ist, fragt Emil, eines der älteren Kinder, ob das denn wirklich schon eine Stunde gewesen sein kann. Was ich nicht genau weiß, und das Gespenst fantasiert sowieso in Jahrhunderten ...Aber ich finde, an diesem Tag ist da hinter unserem Haus tatsächlich Theater entstanden – ein Raum, in dem die Zeit ein Stück weit aufgehoben wird.
Aber auch die Kinder selbst machen den Raum hinter unserem Haus zu einem Kunstraum, indem sie den Boden mit Kreidefiguren bemalen. Und als ich hier einmal einem Cowboy, einem Löwen und gleich zwei Königinnen begegnete, hielt ich den Zeitpunkt für gekommen, einen bestimmten Koffer aus dem Keller zu holen: „Das Gespenst von Canterville“.
Für einen Samstagnachmittag wurde die Vorstellung angekündigt. Ich hatte sie auf eine Stunde veranschlagt. Ich versprach, mich zu verkleiden, worauf Wert gelegt wurde, und nahm mir nochmal den Text vor. Allzu gruselig durfte es natürlich nicht werden. Zu Beginn hatten sich alle Nachbarn versammelt – auf Balkonen, in Fenstern, auf dem Rasen, in Sesseln, die weit auseinander platziert worden waren. Ich hielt eine kurze Einleitung und erwähnte auch die mitgebrachten süßen Waffeln, die bei allzu heftig auftretendem Grusel genossen werden konnten.
Die Vorstellung beginnt. Den Monolog, in dem neun Figuren auftreten, hatte ich zwar schon einige Male gespielt, aber nun versuche ich vor den parkenden Autos, Büschen, neben dem Sandkasten, eine gewisseTheatralität zu entfalten. Der Wind erzählt mit, ein kläffender Hund. Bei der Erwähnung des Cantervill’schen Blutflecks auf dem Boden der Schlossbibliothek glaube ich wirkliches Entsetzen in den Gesichtern zweier Kinder zu lesen. „Blut ... oh!“ Kurz flammt der Gedanke auf: Vielleicht doch zu gruselig? Er verflüchtigt sich aber sofort, als ich weiter-spielend bemerke, dass die Zuschauer sich altersunabhängig über die greise Haushälterin Misses Umney amüsieren. Und als das Gespenst schließlich auf seinen Auftritt als „Geist der jammernden Kindergartentante“ zu sprechen kommt und die Kinder auflachen, habe ich das Gefühl, es läuft. Wir nehmen Fahrt auf. Mein Kostüm, das aus einem selbstbemalten, normalerweise im Schwarzlicht leuchtenden Skelett-T-Shirt besteht, verfehlt trotz Nicht-Phosphoreszierens seine Wirkung nicht: Ich bemerke ein kurzes, lustvolles Gruseln im Publikum, als es zum ersten Mal zu sehen ist.
Alle sind gut eingepackt an diesem kühlen, späten Nachmittag. Die Erzählung vom Gespenst und die Waffeln ergänzen sich hervorragend. Die Nachbarn auf dem Balkon müssen sich natürlich ab und zu um die Babys kümmern – man geht weg, kommt wieder. Als die Vorstellung zu Ende ist, fragt Emil, eines der älteren Kinder, ob das denn wirklich schon eine Stunde gewesen sein kann. Was ich nicht genau weiß, und das Gespenst fantasiert sowieso in Jahrhunderten ...Aber ich finde, an diesem Tag ist da hinter unserem Haus tatsächlich Theater entstanden – ein Raum, in dem die Zeit ein Stück weit aufgehoben wird.