„Eine großartige, sinnliche Geschichte“

Rita Feldmeier hat zwei Drittel ihres Lebens am Hans Otto Theater verbracht. Am Ende dieser Spielzeit hört sie auf – nach 44 Jahren.
Ein Gespräch über kleine und große Rollen, weibliche Führungsqualitäten und ihr neues Stück "Harold und Maude", das am 8. November Premiere hat.
„Ein wunderbares Geschenk für meine letzte Spielzeit in Potsdam“: Rita Feldmeier (Maude) und David Hörning (Harold)
Du bist seit über vier Jahrzehnten am Hans Otto Theater engagiert – eine beeindruckende Zeitspanne: Wie schafft man das?
Rita Feldmeier: Eine so lange Zeit an einem Theater arbeiten zu dürfen, ist ein Geschenk und keine Frage des „Schaffens“. Ich genieße seit der Wende das Privileg, unkündbar zu sein. Ich wusste immer: Hier ist mein Zuhause, ich brauche nicht von einer Stadt in die andere zu hetzen, kann in Ruhe Familie leben und mich auf meine Arbeit konzentrieren, ohne Existenzängste.

Du stammst aus Rostock, deine Eltern leben noch heute dort. Kannst du dich an deine Anfänge am Volkstheater erinnern?
Auf der Schauspielschule in Rostock wusste ich bereits ab dem 2. Studienjahr, dass ich an das dortige Volkstheater engagiert werde. Ich habe schon während des Studiums und die drei Jahre danach viele große Rollen spielen dürfen. Ich konnte mich frei spielen, naiv und voller Lust. Das war wichtig und hat mir gut getan.

Wie hat es dich dann nach Potsdam verschlagen?
Ich wollte aus Rostock weg, um erwachsen zu werden. Potsdam bot mir zwar 100 Mark weniger an, aber das Theater hatte in der Republik einen besonders guten Ruf. Hier erst habe ich begriffen, was der Beruf bedeutet, und gelernt, eine Rolle bewusst zu erarbeiten.

Als junge Schauspielerin musstest du dich lange mit kleinen Rollen begnügen. Hat das an deinem Selbstbewusstsein genagt?
Das kann man so nicht sagen. Alles muss gespielt werden, und kleinere Rollen sind nicht zwangsläufig leichtere Rollen. Ich hätte immer gern mehr gespielt, doch zur damaligen Zeit hat das Schauspiel nur acht Produktionen in einer Spielzeit erarbeitet. Was bleibt da? Außerdem gab es ein sehr starkes und selbstbewusstes Ensemble, das bekam ich zu spüren und musste mich erst einmal beweisen. Das war nicht immer einfach, und ich war auch mal kurz davor, den Beruf aufzugeben.

Wie hast du diese Krise überstanden?
Indem ich gelernt habe, mich zu wehren.

Wie alt warst du da?
Das ist natürlich ein Prozess. Grob gesagt, musste ich erst 50 werden. Ich habe irgendwann begriffen, wenn man sich wehrt, einen Standpunkt hat, auch mal nein sagt, wird man anders akzeptiert und wahrgenommen. Ich bin ein harmoniesüchtiger Mensch, aber nicht mehr um jeden Preis.

Welches war deine künstlerisch fruchtbarste Zeit an diesem Haus?
Die Zeit der Intendanz von Ralf-Günter Krolkiewicz. Er hat mich gezielt gefördert, mir mehr zugetraut als ich mir selber. Was für ein Glück, mit so einem Vertrauen arbeiten zu dürfen.

Gab es einen Moment, den man deinen Durchbruch nennen könnte?
Nein, es gab für mich am Theater immer bessere oder schlechtere Zeiten. Das ist normal. Während der Wende hatte ich allerdings zwei Hauptrollen bei der DEFA; das hätte mir weiterhin gefallen, aber das hatte sich ja dann erledigt.

Welche Rollen bleiben dir für immer im Gedächtnis?
Wo fange ich an? Es sind zu viele!


Du bist im Drama zu Hause, aber auch in der Revue – als Elisabeth in „Maria Stuart“ ebenso wie als „Marlene“ oder „Lola Blau“, auch die Sally in „Cabaret“ hast du mal gespielt. Für welche Art Theater schlägt dein Herz besonders?
Für alles! Ich liebe die Abwechslung. Allerdings brauche ich für das jeweilige Genre das richtige Team um mich herum. Ohne gute Partner vor, hinter oder auf der Bühne kann man es zu keiner besonderen Leistung bringen. Teamarbeit ist wunderbar, wenn es aber nicht klappt, leider zum Verzweifeln.

Du hast sechs Intendanten erlebt und jetzt mit Bettina Jahnke erstmals eine Intendantin. Macht sie etwas anders als ihre Herren Vorgänger?
Die Gegensätzlichkeit der Geschlechter ist wichtig und gut. Aber Frauen haben oft andere Denkansätze, das macht sich natürlich auch im Leitungsstil bemerkbar. Bettina Jahnke hat eine wahnsinnig ansteckende Energie, das ist neu und tut gut. Überhaupt finde ich unsere ganze Frauenriege in der „oberen Etage“ super – klare Ansagen, Zuhören und Herzlichkeit. So empfinde ich das als Spielende.

Nach „Occident Express“ in der vergangenen Spielzeit wirst du ab November in „Harold und Maude“ erneut eine Hauptrolle spielen – an der Seite des 39 Jahre jüngeren Kollegen David Hörning. Wie siehst du dieser Arbeit entgegen?
Mit Freude und Respekt! Apropos „Occident Express“ – das gehört wirklich in die Reihe meiner härtesten und schönsten Herausforderungen.

Das Stück ist in Potsdam nicht mehr zu sehen, du wirst es aber noch einmal spielen – am 13. November in Stuttgart, auf Einladung des Festivals Made in Germany.
Genau, das wird sehr spannend!

Zurück zu „Harold und Maude“ …
Vor etlichen Jahren habe ich den Film gesehen, und die Geschichte ist mir haften geblieben. Mir ist auch noch die berührende Inszenierung 2002 von Günter Rüger mit Gertraud Kreißig und David Emig in Erinnerung. Ich weiß sogar noch, wo ich in der Blechbüchse gesessen habe. Ich habe gelacht, und es kullerten auch Tränen. Eine großartige, sinnliche Geschichte. Ein wunderbares Geschenk für meine letzte Spielzeit in Potsdam.

Wie siehst du deine Figur?
Maude ist eine tolle Frau. Sie lebt so viel vor. Liebe, Gelassenheit, Weitsicht, Neugier, Schmerz. Den Moment meinen und leben. Sie setzt ihre Visionen konsequent um, öffnet Augen, lehrt Menschen, das Herz sprechen zu lassen, zu vertrauen, achtsam zu sein. Ich werde mit Sicherheit auch persönlich viel aus dieser Arbeit mitnehmen.

Wenn man dich im Theateralltag erlebt, dann verströmst du oft eine geradezu jungmädchenhafte Energie. Wo nimmst du die her? Was hält dich jung?
Die Arbeit, das Zusammensein mit jungen Leuten, Neugier auf Unbekanntes, Freude an Bewegung – und das Allerwichtigste: Familie leben. Das macht mich zufrieden und glücklich und gibt mir Kraft.

Interview: Björn Achenbach
veröffentlicht in ZUGABE MAGAZIN 04-2019