Zur Entstehung des „Leben des Galilei“
Ein Essay von Dramaturgin Sina Katharina Flubacher
28. Februar 1933. Einen Tag nach dem Reichstagsbrand verlässt Bertolt Brecht Deutschland. Keine Minute zu früh, denn bereits wenige Stunden nach seiner Flucht wird seine Wohnung in Berlin untersucht. Der Autor ist mit seinen politisch provokanten Texten sowie seiner Nähe zum Kommunismus schon länger auf der Liste der sich formierenden faschistischen Kräfte. Brecht flieht mit seiner Familie über Zwischenstationen nach Dänemark. Hier beobachtet er die politischen Ereignisse in Deutschland und arbeitet unter den oft schwierigen Bedingungen des Exils weiter. Einige seiner berühmtesten Stücke entstehen in dieser Zeit: „Mutter Courage und ihre Kinder“, „Der gute Mensch von Sezuan“, „Furcht und Elend des III. Reiches“ und auch sein „Galilei“.
Betrachtet man das Stück aus seiner Entstehung im Exil, so ist es ein Drama über einen Mann, dem die Welt, wie er sie begreift, verloren geht. Der heimatlos wird, im Arbeiten und im Denken. Die Figur des Galilei ist eine Figur der großen Widersprüche und vielleicht auch eine der Missverständnisse. Denn sie erfuhr in der Praxis oft eine Positivfärbung, die Brecht missfiel. Besonders anschaulich zeigt das eine Probenanekdote zwischen ihm und dem Schauspieler Ernst Busch: „In den letzten Proben, die er [Brecht] gemacht hat, hat er sich immer mit Busch gestritten und ihm gesagt Busch, Sie spielen einen Verbrecher, das ist ein Krimineller, ein Mann, der die Wahrheit weiß und sie nicht sagt. Und Busch sagte immer: Aber Brecht, das haben Sie nicht geschrieben.“ Brechts Wunsch, dass ein Galilei in seinem Opportunismus keine Gnade finden durfte, wird in diesem Probenausschnitt von 1955 deutlich. Und doch zeigt dieser kurze Dialog etwas, dass zwar der Autorenintention zuwiderlaufen mag, aber doch eine der großen Stärken des Stücks ist: Brecht hat einen Menschen geschrieben, in all seiner Ambivalenz. Galilei ist Lehrer und lustvoll-naiv Forschender zugleich. Ein Lebemann, maßlos im Denken. Ein Spieler, der sich verzockt, der die politische Komplexität seiner Lage nicht erkennt. Der seine Forschung verrät und nicht von ihr ablässt. Dass sich „der Fall Galilei“ nicht so einfach beurteilen lässt, macht die Stärke und Faszination der Figur aus.
Betrachtet man den „Galilei“ aus seiner Entstehungsgeschichte heraus, so lesen sich die Widersprüche der Figur auch als eine Parallele zu den ungelösten und vielleicht unlösbaren Konflikten Brechts innerhalb des eigenen Denkens. Die Schuld Galileis ist dann vielleicht auch eine Schuld des politischen Menschen Brecht, angesichts der großen Moskauer Schauprozesse 1936-38 geschwiegen und sich nie an einer öffentlichen Kritik am Stalinismus beteiligt zu haben – nicht einmal, als Menschen, die ihm nahe standen, verhaftet wurden. Man kann hier der Argumentation Hans-Thies Lehmanns folgen, dass der „Galilei“ aus Brechts Konflikt mit einer durch den Stalinismus erstarrten kommunistischen Bewegung verstehbar ist. Deutlich wird darin auch, dass die Parallelen, die man zwischen Autor und Figur finden mag, nicht absichtslos sind. Genauso wichtig ist jedoch auch Brechts Zeitgenossenschaft in der insgesamt 18-jährigen Entstehungszeit seines Stücks. Brecht – geboren 1898 in Augsburg – erlebte immerhin fünf verschiedene Gesellschaftssysteme: die letzten Züge des Kaiserreichs, die Weimarer Republik, die Nazidiktatur, die DDR und die BRD. Zeitenumbrüche haben sein Leben und Werk zwangsläufig stark geprägt.
„Leben des Galilei“ wurde in der Erstfassung 1938 inspiriert durch den Leipziger Reichstagsbrandprozess, in dem der Hauptangeklagte Georgi Dimitroff das angebliche Galilei-Zitat „und sie bewegt sich doch!“ aufgriff und damit an die Richter appellierte, die Wahrheit nicht zu unterdrücken. Brecht beschäftigte sich mit dem historischen Fall, las zu physikalischen und astronomischen Fragestellungen und schrieb den „Galilei“, „der ihm schon länger im Kopf herum spukte“, wie seine Mitarbeiterin Margarete Steffin an Walter Benjamin schrieb, innerhalb weniger Wochen. Unter dem Eindruck des Exils und der Bedrohung durch den Faschismus, zeigt seine dänische Erstfassung einen Widerstandskämpfer, der mit List seine Forschung auch unter Repression weiterbetreibt. Doch die Vielschichtigkeit des Widerrufs zwischen Verrat und Taktik sollte zum Kernpunkt aller weiteren Überarbeitungen werden. Der Abwurf der Atombombe über Hiroshima und Nagasaki beeinflusste Brechts Sicht auf das Stück sehr stark. Nun trat in der Selbstanklage Galileis die Frage nach der Verantwortung des Wissenschaftlers für seine zerstörerische und potentiell vernichtende Forschung scharf in den Vordergrund: „Ich überlieferte mein Wissen, es zu gebrauchen, es nicht zu gebrauchen, es zu mißbrauchen, ganz, wie es ihren Zwecken diente. Ich habe meinen Beruf verraten.“
1945 – Brecht war mittlerweile nach Kalifornien emigriert – entstand in gemeinsamer Probenarbeit mit dem Schauspieler Charles Laughton eine amerikanische Fassung, die bei ihrer Premiere 1947 durch ihren hohen Aktualitätsbezug kurzzeitig zum Erfolg avancierte, wenngleich die Skepsis angesichts der politischen Tendenz sowie der andersartigen Unterhaltungs-Qualität letztlich überwog und so einen dauerhaften Hit verhinderte. Auch Brecht wurde nicht warm mit Amerika und seinem Kulturbetrieb. Die politische Verengung und „Kommunistenjagd“ der McCarthy-Ära zwang ihn zum erneuten Aufbruch. Nach einer Anhörung vor dem Kongress für unamerikanische Betätigungen in Washington 1947 – vor dem sich auch zahlreiche Brecht-Freunde wie Hanns Eisler rechtfertigen mussten – verließ er noch am selben Tag die USA. Zurück in Deutschland nahm er sich den Galilei-Stoff erneut vor; die amerikanische Fassung wurde rückübersetzt und mit Details aus der dänischen Erstfassung zur „Berliner Fassung“ verschmolzen, die bis heute Grundlage der meisten Aufführungen ist. Die moralisch-menschliche Tragödie des Wissenschaftlers wurde angesichts der Prozesse gegen den amerikanischen Physiker Robert Oppenheimer, die Brecht aufmerksam verfolgte, in dieser dritten Fassung stärker herausgearbeitet. Unter dem Eindruck weiterer Umbrüche wie dem Kalten Krieg und der Remilitarisierung der BRD, drängte Brecht, der im Weltfriedensrat und in vielen Organisationen der DDR für die Erhaltung des Friedens eintrat, auf eine Veröffentlichung des Stücks und arbeitete ab 1955 an einer Inszenierung am Berliner Ensemble mit Ernst Busch in der Titelrolle. Die Premiere sollte er jedoch nicht mehr erleben; Brecht starb noch während der Proben an einem Herzinfarkt. Trotz – oder vielleicht auch wegen – der unaufgelösten Widersprüche wurde „Leben des Galilei“ mit der kongenialen Musik von Hanns Eisler eines seiner meist gespielten Werke.
Betrachtet man das Stück aus seiner Entstehung im Exil, so ist es ein Drama über einen Mann, dem die Welt, wie er sie begreift, verloren geht. Der heimatlos wird, im Arbeiten und im Denken. Die Figur des Galilei ist eine Figur der großen Widersprüche und vielleicht auch eine der Missverständnisse. Denn sie erfuhr in der Praxis oft eine Positivfärbung, die Brecht missfiel. Besonders anschaulich zeigt das eine Probenanekdote zwischen ihm und dem Schauspieler Ernst Busch: „In den letzten Proben, die er [Brecht] gemacht hat, hat er sich immer mit Busch gestritten und ihm gesagt Busch, Sie spielen einen Verbrecher, das ist ein Krimineller, ein Mann, der die Wahrheit weiß und sie nicht sagt. Und Busch sagte immer: Aber Brecht, das haben Sie nicht geschrieben.“ Brechts Wunsch, dass ein Galilei in seinem Opportunismus keine Gnade finden durfte, wird in diesem Probenausschnitt von 1955 deutlich. Und doch zeigt dieser kurze Dialog etwas, dass zwar der Autorenintention zuwiderlaufen mag, aber doch eine der großen Stärken des Stücks ist: Brecht hat einen Menschen geschrieben, in all seiner Ambivalenz. Galilei ist Lehrer und lustvoll-naiv Forschender zugleich. Ein Lebemann, maßlos im Denken. Ein Spieler, der sich verzockt, der die politische Komplexität seiner Lage nicht erkennt. Der seine Forschung verrät und nicht von ihr ablässt. Dass sich „der Fall Galilei“ nicht so einfach beurteilen lässt, macht die Stärke und Faszination der Figur aus.
Betrachtet man den „Galilei“ aus seiner Entstehungsgeschichte heraus, so lesen sich die Widersprüche der Figur auch als eine Parallele zu den ungelösten und vielleicht unlösbaren Konflikten Brechts innerhalb des eigenen Denkens. Die Schuld Galileis ist dann vielleicht auch eine Schuld des politischen Menschen Brecht, angesichts der großen Moskauer Schauprozesse 1936-38 geschwiegen und sich nie an einer öffentlichen Kritik am Stalinismus beteiligt zu haben – nicht einmal, als Menschen, die ihm nahe standen, verhaftet wurden. Man kann hier der Argumentation Hans-Thies Lehmanns folgen, dass der „Galilei“ aus Brechts Konflikt mit einer durch den Stalinismus erstarrten kommunistischen Bewegung verstehbar ist. Deutlich wird darin auch, dass die Parallelen, die man zwischen Autor und Figur finden mag, nicht absichtslos sind. Genauso wichtig ist jedoch auch Brechts Zeitgenossenschaft in der insgesamt 18-jährigen Entstehungszeit seines Stücks. Brecht – geboren 1898 in Augsburg – erlebte immerhin fünf verschiedene Gesellschaftssysteme: die letzten Züge des Kaiserreichs, die Weimarer Republik, die Nazidiktatur, die DDR und die BRD. Zeitenumbrüche haben sein Leben und Werk zwangsläufig stark geprägt.
„Leben des Galilei“ wurde in der Erstfassung 1938 inspiriert durch den Leipziger Reichstagsbrandprozess, in dem der Hauptangeklagte Georgi Dimitroff das angebliche Galilei-Zitat „und sie bewegt sich doch!“ aufgriff und damit an die Richter appellierte, die Wahrheit nicht zu unterdrücken. Brecht beschäftigte sich mit dem historischen Fall, las zu physikalischen und astronomischen Fragestellungen und schrieb den „Galilei“, „der ihm schon länger im Kopf herum spukte“, wie seine Mitarbeiterin Margarete Steffin an Walter Benjamin schrieb, innerhalb weniger Wochen. Unter dem Eindruck des Exils und der Bedrohung durch den Faschismus, zeigt seine dänische Erstfassung einen Widerstandskämpfer, der mit List seine Forschung auch unter Repression weiterbetreibt. Doch die Vielschichtigkeit des Widerrufs zwischen Verrat und Taktik sollte zum Kernpunkt aller weiteren Überarbeitungen werden. Der Abwurf der Atombombe über Hiroshima und Nagasaki beeinflusste Brechts Sicht auf das Stück sehr stark. Nun trat in der Selbstanklage Galileis die Frage nach der Verantwortung des Wissenschaftlers für seine zerstörerische und potentiell vernichtende Forschung scharf in den Vordergrund: „Ich überlieferte mein Wissen, es zu gebrauchen, es nicht zu gebrauchen, es zu mißbrauchen, ganz, wie es ihren Zwecken diente. Ich habe meinen Beruf verraten.“
1945 – Brecht war mittlerweile nach Kalifornien emigriert – entstand in gemeinsamer Probenarbeit mit dem Schauspieler Charles Laughton eine amerikanische Fassung, die bei ihrer Premiere 1947 durch ihren hohen Aktualitätsbezug kurzzeitig zum Erfolg avancierte, wenngleich die Skepsis angesichts der politischen Tendenz sowie der andersartigen Unterhaltungs-Qualität letztlich überwog und so einen dauerhaften Hit verhinderte. Auch Brecht wurde nicht warm mit Amerika und seinem Kulturbetrieb. Die politische Verengung und „Kommunistenjagd“ der McCarthy-Ära zwang ihn zum erneuten Aufbruch. Nach einer Anhörung vor dem Kongress für unamerikanische Betätigungen in Washington 1947 – vor dem sich auch zahlreiche Brecht-Freunde wie Hanns Eisler rechtfertigen mussten – verließ er noch am selben Tag die USA. Zurück in Deutschland nahm er sich den Galilei-Stoff erneut vor; die amerikanische Fassung wurde rückübersetzt und mit Details aus der dänischen Erstfassung zur „Berliner Fassung“ verschmolzen, die bis heute Grundlage der meisten Aufführungen ist. Die moralisch-menschliche Tragödie des Wissenschaftlers wurde angesichts der Prozesse gegen den amerikanischen Physiker Robert Oppenheimer, die Brecht aufmerksam verfolgte, in dieser dritten Fassung stärker herausgearbeitet. Unter dem Eindruck weiterer Umbrüche wie dem Kalten Krieg und der Remilitarisierung der BRD, drängte Brecht, der im Weltfriedensrat und in vielen Organisationen der DDR für die Erhaltung des Friedens eintrat, auf eine Veröffentlichung des Stücks und arbeitete ab 1955 an einer Inszenierung am Berliner Ensemble mit Ernst Busch in der Titelrolle. Die Premiere sollte er jedoch nicht mehr erleben; Brecht starb noch während der Proben an einem Herzinfarkt. Trotz – oder vielleicht auch wegen – der unaufgelösten Widersprüche wurde „Leben des Galilei“ mit der kongenialen Musik von Hanns Eisler eines seiner meist gespielten Werke.
Regisseurin Alice Buddeberg im Gespräch
Was hat dich an dem Stück gereizt?
Es ist unfassbar aktuell in der Frage, wie viel freies Denken möglich ist in einer Welt, in der Freiräume zunehmend verschwinden. Galilei sitzt am Ende unter Hausarrest in einer Zelle, allein mit seiner Tochter und sich selbst – das ist für mich wie eine Spiegelung unserer Zeit von reaktionären Kräften, in der die Spielräume für nicht Verwertbares immer enger werden und man sich in der Folge vielleicht auch selbst das Denken verbietet.
Für dich spielt die Entstehungsgeschichte eine große Rolle. Warum?
In der Auseinandersetzung mit dem Stoff haben Brechts Schreibanlässe – der Reichstagsbrand, die Moskauer Schauprozesse, die Atombombe – stark widergehallt. Genauso wie die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Exil. Es ist schon ziemlich beängstigend, wenn man bedenkt, wie Brecht das Stück aus der Erfahrung des Abgeschnittenseins geschrieben hat. Als eine Geschichte über Heimatlosigkeit angesichts der Diktaturen der Welt – das ist für uns leider wieder nachempfindbar geworden. Für mich ist die Galilei-Figur dafür eine Metapher.
Wie fließt das in die Inszenierung ein?
Wir haben eine zweite Ebene eingefügt, mit kurzen Texten von den Flucht- und Exilbedingungen Brechts und seiner Mitarbeiterin Margarete Steffin. Dabei geht es nicht um historische Genauigkeit; vielmehr benutzen wir die Geschichte der Vergangenheit, um von einer Angst um die Zukunft zu erzählen.
Margarete Steffin war eine enge Mitarbeiterin Brechts und hat an der dänischen Erstfassung des „Galilei“ mitgearbeitet. Welche Rolle spielt sie in der Inszenierung?
Für mich beschreibt ihr Schicksal das einer ganzen Frauengeneration. Sie war auch selbst Schriftstellerin, hat aber nur wenig publiziert und ist dann im Exil nochmal anders vergessen worden als ihre männlichen Kollegen. Dabei haben ihre Texte eine große sprachliche Kraft. Und das Schicksal der Frauenfiguren im „Galilei“ lässt sich damit sinnlicher erzählen.
Die beiden Ebenen schieben sich im Laufe des Abends immer stärker ineinander…
Es geht, wie gesagt, überhaupt nicht um historische oder biografische Genauigkeit. Aber es ist interessant, dass sowohl die Galileifigur immer im Kollektiv arbeitet und in der Diskussion den Gedanken entwickelt, als auch Brecht – und dass Theater letztlich auch immer nur als gemeinsamer Prozess funktioniert. So versuchen wir in den Texten eine Schwingung zwischen den Zeiten zu erzeugen: dem Umbruch der späten Renaissance, die im Stück verhandelt wird, dem Umbruch des Faschismus, aus dem heraus Brecht schrieb und der Angst vor dem Umbruch, in dem wir uns heute befinden.
In der letzten Szene deutet Brecht ein „happy end“ an: Galileis Hauptwerk, die „Discorsi“, wird über die Grenze geschmuggelt und leitet so quasi die Moderne ein. Warum hast du diese Szene gestrichen?
Ich glaube, sie wird generell selten gespielt, aber sie passt einfach auch nicht in unsere Zeit. Trotzdem gibt es Hoffnung, eine sehr sehr leise. Es gibt diese kurze Replik „Wie war die Nacht? – Hell“, in der man noch hoffen kann, dass in aller Katastrophe auch irgendwie Schönheit oder Überleben möglich ist. Und vielleicht ist es auch gut, mit einem rumorenden Unwohlsein aus dem Abend rauszugehen. Vielleicht macht das dann das Leben hoffnungsvoller, als wenn ich schon auf der Bühne erlöst werde.
Das Gespräch führte Sina Katharina Flubacher.
Es ist unfassbar aktuell in der Frage, wie viel freies Denken möglich ist in einer Welt, in der Freiräume zunehmend verschwinden. Galilei sitzt am Ende unter Hausarrest in einer Zelle, allein mit seiner Tochter und sich selbst – das ist für mich wie eine Spiegelung unserer Zeit von reaktionären Kräften, in der die Spielräume für nicht Verwertbares immer enger werden und man sich in der Folge vielleicht auch selbst das Denken verbietet.
Für dich spielt die Entstehungsgeschichte eine große Rolle. Warum?
In der Auseinandersetzung mit dem Stoff haben Brechts Schreibanlässe – der Reichstagsbrand, die Moskauer Schauprozesse, die Atombombe – stark widergehallt. Genauso wie die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Exil. Es ist schon ziemlich beängstigend, wenn man bedenkt, wie Brecht das Stück aus der Erfahrung des Abgeschnittenseins geschrieben hat. Als eine Geschichte über Heimatlosigkeit angesichts der Diktaturen der Welt – das ist für uns leider wieder nachempfindbar geworden. Für mich ist die Galilei-Figur dafür eine Metapher.
Wie fließt das in die Inszenierung ein?
Wir haben eine zweite Ebene eingefügt, mit kurzen Texten von den Flucht- und Exilbedingungen Brechts und seiner Mitarbeiterin Margarete Steffin. Dabei geht es nicht um historische Genauigkeit; vielmehr benutzen wir die Geschichte der Vergangenheit, um von einer Angst um die Zukunft zu erzählen.
Margarete Steffin war eine enge Mitarbeiterin Brechts und hat an der dänischen Erstfassung des „Galilei“ mitgearbeitet. Welche Rolle spielt sie in der Inszenierung?
Für mich beschreibt ihr Schicksal das einer ganzen Frauengeneration. Sie war auch selbst Schriftstellerin, hat aber nur wenig publiziert und ist dann im Exil nochmal anders vergessen worden als ihre männlichen Kollegen. Dabei haben ihre Texte eine große sprachliche Kraft. Und das Schicksal der Frauenfiguren im „Galilei“ lässt sich damit sinnlicher erzählen.
Die beiden Ebenen schieben sich im Laufe des Abends immer stärker ineinander…
Es geht, wie gesagt, überhaupt nicht um historische oder biografische Genauigkeit. Aber es ist interessant, dass sowohl die Galileifigur immer im Kollektiv arbeitet und in der Diskussion den Gedanken entwickelt, als auch Brecht – und dass Theater letztlich auch immer nur als gemeinsamer Prozess funktioniert. So versuchen wir in den Texten eine Schwingung zwischen den Zeiten zu erzeugen: dem Umbruch der späten Renaissance, die im Stück verhandelt wird, dem Umbruch des Faschismus, aus dem heraus Brecht schrieb und der Angst vor dem Umbruch, in dem wir uns heute befinden.
In der letzten Szene deutet Brecht ein „happy end“ an: Galileis Hauptwerk, die „Discorsi“, wird über die Grenze geschmuggelt und leitet so quasi die Moderne ein. Warum hast du diese Szene gestrichen?
Ich glaube, sie wird generell selten gespielt, aber sie passt einfach auch nicht in unsere Zeit. Trotzdem gibt es Hoffnung, eine sehr sehr leise. Es gibt diese kurze Replik „Wie war die Nacht? – Hell“, in der man noch hoffen kann, dass in aller Katastrophe auch irgendwie Schönheit oder Überleben möglich ist. Und vielleicht ist es auch gut, mit einem rumorenden Unwohlsein aus dem Abend rauszugehen. Vielleicht macht das dann das Leben hoffnungsvoller, als wenn ich schon auf der Bühne erlöst werde.
Das Gespräch führte Sina Katharina Flubacher.
Drei Fragen an Musikerin Mirjam Beierle
Wie hast Du die Musik Hanns Eislers zu „Leben des Galilei” interpretiert und weiterentwickelt?
Eisler hat durch die Instrumentierung mit Cembalo, Klarinette und Flöte eine volle und doch zerbrechliche Klangwelt geschaffen. Hierin werden die Zerrissenheit und der Aufruf zur Veränderung der Welt spürbar. Dieses Weltgefühl empfanden wir angesichts der gegenwärtigen Krisen als sehr aktuell und das wollten wir auch aufgreifen. Eisler hat für den Galilei eine Musik geschrieben, die in einem sehr reduzierten, fast funktionalen Stil das, was in den einzelnen Bildern passiert, vorwegnimmt und kommentiert. Bei uns hat die Musik eher die Funktion atmosphärisch das Geschehen auf der Bühne zu unterstützen und zu tragen.
Trittst Du damit in gewisser Weise in Widerspruch zu Eisler?
Ja. Aber natürlich arbeitet auch mein Widerspruch mit den Elementen von Eislers Musik. Ich verwende in erster Linie das Klavier. Dieses kommt präpariert zum Einsatz, um ein diffiziles, nicht direkt zuordenbares Klangbild zu erschaffen. So habe ich beispielsweise mit Magnetbausteinen gearbeitet, die ich an den Seiten des Klaviers angebracht habe, um beschwerte, metallische Klänge zu erzeugen. Viele Themen Eislers sind bei uns fragmentiert und überlagert. Neben dem präparierten Klavier kommen auch Aufnahmen aus dem Flügelinnenraum und elektronische Verfremdung zum Einsatz. Der zugrundeliegende Cembalosatz wird mit Obertonklängen erweitert, um das Sphärische und Zerbrechliche sowohl der Welt als auch der Weltsicht auszudrücken. Der Balladensänger ist kein selbstbewusst Vortragender, sondern ein tastender, probierender, der sich selbst unterbricht und immer wieder neu ansetzen muss.
Die große Offenheit im Denken des Galileis zu Beginn des Stücks steht in krassem Gegensatz zur Beschneidung seiner Freiheit am Ende. Wie geht die Musik mit dieser Verengung um?
Mir war es wichtig, die unterschwellige Bedrohung, der Galilei eigentlich von Anfang an ausgesetzt wird, klanglich umzusetzen. Die meisten Aufnahmen habe ich aus dem Innenraum des Klaviers gemacht. Dieser Innenraum steht sowohl für die Geschlossenheit des Studierzimmers als auch für die Öffnung ins Universum. Die Räume sind also schon von Beginn an weit und eng zugleich, aber natürlich verdichtet es sich zum Ende hin und die äußere Freiheit ist nicht mehr gegeben. Auch bei Eisler sind im ersten Thema bereits die Offenheit und die Geschlossenheit der Welt enthalten im Klang. Deshalb kommen Elemente aus diesem und später auch aus dem Finalthema über den Abend immer wieder vor. Sie drücken das Spannungsfeld, in dem Galilei steht aus: Die Welt wird ein unsicherer Ort, aber sie zeigt sich darin auch als veränderbar, denn: „Alles bewegt sich.“
Interview: Emma Charlott Ulrich
Eisler hat durch die Instrumentierung mit Cembalo, Klarinette und Flöte eine volle und doch zerbrechliche Klangwelt geschaffen. Hierin werden die Zerrissenheit und der Aufruf zur Veränderung der Welt spürbar. Dieses Weltgefühl empfanden wir angesichts der gegenwärtigen Krisen als sehr aktuell und das wollten wir auch aufgreifen. Eisler hat für den Galilei eine Musik geschrieben, die in einem sehr reduzierten, fast funktionalen Stil das, was in den einzelnen Bildern passiert, vorwegnimmt und kommentiert. Bei uns hat die Musik eher die Funktion atmosphärisch das Geschehen auf der Bühne zu unterstützen und zu tragen.
Trittst Du damit in gewisser Weise in Widerspruch zu Eisler?
Ja. Aber natürlich arbeitet auch mein Widerspruch mit den Elementen von Eislers Musik. Ich verwende in erster Linie das Klavier. Dieses kommt präpariert zum Einsatz, um ein diffiziles, nicht direkt zuordenbares Klangbild zu erschaffen. So habe ich beispielsweise mit Magnetbausteinen gearbeitet, die ich an den Seiten des Klaviers angebracht habe, um beschwerte, metallische Klänge zu erzeugen. Viele Themen Eislers sind bei uns fragmentiert und überlagert. Neben dem präparierten Klavier kommen auch Aufnahmen aus dem Flügelinnenraum und elektronische Verfremdung zum Einsatz. Der zugrundeliegende Cembalosatz wird mit Obertonklängen erweitert, um das Sphärische und Zerbrechliche sowohl der Welt als auch der Weltsicht auszudrücken. Der Balladensänger ist kein selbstbewusst Vortragender, sondern ein tastender, probierender, der sich selbst unterbricht und immer wieder neu ansetzen muss.
Die große Offenheit im Denken des Galileis zu Beginn des Stücks steht in krassem Gegensatz zur Beschneidung seiner Freiheit am Ende. Wie geht die Musik mit dieser Verengung um?
Mir war es wichtig, die unterschwellige Bedrohung, der Galilei eigentlich von Anfang an ausgesetzt wird, klanglich umzusetzen. Die meisten Aufnahmen habe ich aus dem Innenraum des Klaviers gemacht. Dieser Innenraum steht sowohl für die Geschlossenheit des Studierzimmers als auch für die Öffnung ins Universum. Die Räume sind also schon von Beginn an weit und eng zugleich, aber natürlich verdichtet es sich zum Ende hin und die äußere Freiheit ist nicht mehr gegeben. Auch bei Eisler sind im ersten Thema bereits die Offenheit und die Geschlossenheit der Welt enthalten im Klang. Deshalb kommen Elemente aus diesem und später auch aus dem Finalthema über den Abend immer wieder vor. Sie drücken das Spannungsfeld, in dem Galilei steht aus: Die Welt wird ein unsicherer Ort, aber sie zeigt sich darin auch als veränderbar, denn: „Alles bewegt sich.“
Interview: Emma Charlott Ulrich
3 Fragen an Bühnen- und Kostümbildnerin Martina Küster
Bertolt Brecht trug oft Hemden, die keinen Kragen hatten, oder einfache, funktionale Jacken und Hosen. Auch in Deinem Kostümbild tauchen „Brecht-Hemden“ in verschiedenen Varianten auf, die von allen Figuren getragen werden. Warum?
Bekannt sind ja Fotos und Bilder von Brecht, die ihn mit Lederjacke und Zigarre oder einem Arbeiterhemd zeigen. Neu war mir aber, dass er seine Kleidung nach Maß hat schneidern lassen. Oft in feinen Stoffen. Er hat sich selbst eine Lederjacke ohne Revers entworfen, in der hat Otto Dix ihn 1926 gemalt.
Die Lederjacke war „Parteimode“, doch Brecht hat sie für sich abgewandelt und damit nicht nur seine Zugehörigkeit signalisiert, sondern sich auch abgegrenzt: Ich vertrete die Werte der Arbeiterpartei, doch ich stehe für mich.
Dass verschiedene Figuren in „Leben des Galilei“ ausgestattet sind mit diesem Brecht-Hemd soll den Arbeitszusammenhang verdeutlichen, in dem das Stück entstand. Brecht lebte in ja in einer „Theaterfamilie“, seine Geliebten, wie Ruth Berlau oder Margarete Steffin, begleiteten ihn und Helene Weigel in der Exilzeit und waren eng eingebunden in sein Arbeiten, sein Schreiben.
Zu Beginn des Stücks sind die Kostüme jedoch heutig, Sportjacken, bunte Hosen und Mäntel aus Materialien wie Polyester. Nach und nach verliert die Kleidung ihre Farbigkeit – ein Symbol der fortschreitenden Desillusion der Figuren?
Vorbilder für die heutig aussehenden Kostüme waren die verschiedenen Looks von Theaterschaffenden unserer Zeit. Die Adidas-Jacke ist Zeichen einer aus dem „Gopnick-Style“ rührenden Lässigkeit oder sogar Nachlässigkeit. In den 1980er Jahren trugen Jugendliche aus dem Arbeiter-Milieu in der UdSSR Trainingskleidung und hoben sich damit von ihrer genormten Umgebung ab. Heute ist die Trainingsjacke allgegenwärtig.
Die verschiedenen Ebenen, die das Kostümbild aufmacht, sind nicht scharf voneinander zu trennen, das verdeutlicht ja schon der Beginn, wenn Mascha Schneider Texte von Brecht und Margarete Steffin spricht, die uns erschreckend aktuell erscheinen. Sie trägt Kleidung und Frisur aus den 1940er Jahren, doch worüber sie spricht, geht uns heute unmittelbar an. Die Desillusionierung findet auf dieser Ebene, auf der Ebene der Entstehungszeit des Stücks statt, ja, sie findet aber vor allem bei Galilei statt sowie bei den Figuren um ihn herum, die ja ebenfalls größere Verluste zu verkraften haben.
Das Bühnenbild zeigt eine große senkbare Plexiglasscheibe, die wie ein großer Himmelskörper aussehen kann, auf der die Spielenden aber auch stehen. Außerdem hängt ein Traversenkreis mit Scheinwerfern in der Mitte der Bühne. Beide Elemente bewegen sich nahezu lautlos. Was hat Dich zu dieser Setzung inspiriert?
Inspiriert haben mich astronomische Modelle aus der Zeit Galileis, die Laufbahnen der Himmelskörper, die Galilei durch sein Fernrohr in der Lage ist zu beobachten.
Aber auch die heutige Raumfahrt und heutiges Industriedesign: Ich wollte darum in erster Linie Standardmaterialien der Veranstaltungstechnik benutzen und so einen starken Bezug zum Heute setzen.
Die Bühne ist groß und leer, doch sie arbeitet auch mit Illusionen, die nur kurz darauf durch offenen Umbauten wieder zerstört werden. So bildet der Traversenkreis gemeinsam mit dem Podest, Scheinwerfern und Nebel je nach Positionierung ein Astrolab, verschiedene Sternkonstellationen mit Sonne und Mond oder den Rahmen für den großen Auftritt des Papstes oder Hanns Eisler. Es gibt keine geschlossene Welt, wie auch das Brecht’sche Theater sie nicht vorsah.
Zum Ende hin kommt alles zum Stillstand, die Scheibe wird abgebaut und angeschrägt, der Eiserne Vorhang verkleinert den Bühnenraum auf die Vorbühne, denn Galileis Welt hat sich ebenfalls verengt und verkleinert.
Soll ich denn auch noch etwas zur „Brecht-Gardine“ sagen?
Ja, gerne!
Alice Buddeberg und ich hatten in unserer gemeinsamen Vorbereitung über diesen Brecht-Vorhang gesprochen, der zwar vor der Bühne zugezogen wurde, der jedoch so kurz war, dass man Beine und Füße während des Umbaus sah oder teilweise die Umzüge der Schauspielenden beobachten konnte.
Ich sah sofort einen roten Samtvorhang vor mir. Rot, das habe ich dann gelesen, war zu Galileis Zeit den Kardinälen vorbehalten und versinnbildlichte ihre Treue zum Papst und das Gelübde, ihn notfalls bis aufs Blut zu verteidigen.
So verband sich in meinem Kopf die Idee, den Brecht-Vorhang auch als Kostüm zu benutzen. Die Kardinäle des Collegium Romanum stecken ja recht alptraumhaft ihre Gesichter und Hände durch den Vorhang, während ihre Körper sich hinter dem Vorhang abzeichnen. Gemeinsam bilden sie einen Schutzwall gegen Galilei und seiner neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die die Vormachtstellung der Kirche bedroht.
Interview: Emma Charlott Ulrich
Bekannt sind ja Fotos und Bilder von Brecht, die ihn mit Lederjacke und Zigarre oder einem Arbeiterhemd zeigen. Neu war mir aber, dass er seine Kleidung nach Maß hat schneidern lassen. Oft in feinen Stoffen. Er hat sich selbst eine Lederjacke ohne Revers entworfen, in der hat Otto Dix ihn 1926 gemalt.
Die Lederjacke war „Parteimode“, doch Brecht hat sie für sich abgewandelt und damit nicht nur seine Zugehörigkeit signalisiert, sondern sich auch abgegrenzt: Ich vertrete die Werte der Arbeiterpartei, doch ich stehe für mich.
Dass verschiedene Figuren in „Leben des Galilei“ ausgestattet sind mit diesem Brecht-Hemd soll den Arbeitszusammenhang verdeutlichen, in dem das Stück entstand. Brecht lebte in ja in einer „Theaterfamilie“, seine Geliebten, wie Ruth Berlau oder Margarete Steffin, begleiteten ihn und Helene Weigel in der Exilzeit und waren eng eingebunden in sein Arbeiten, sein Schreiben.
Zu Beginn des Stücks sind die Kostüme jedoch heutig, Sportjacken, bunte Hosen und Mäntel aus Materialien wie Polyester. Nach und nach verliert die Kleidung ihre Farbigkeit – ein Symbol der fortschreitenden Desillusion der Figuren?
Vorbilder für die heutig aussehenden Kostüme waren die verschiedenen Looks von Theaterschaffenden unserer Zeit. Die Adidas-Jacke ist Zeichen einer aus dem „Gopnick-Style“ rührenden Lässigkeit oder sogar Nachlässigkeit. In den 1980er Jahren trugen Jugendliche aus dem Arbeiter-Milieu in der UdSSR Trainingskleidung und hoben sich damit von ihrer genormten Umgebung ab. Heute ist die Trainingsjacke allgegenwärtig.
Die verschiedenen Ebenen, die das Kostümbild aufmacht, sind nicht scharf voneinander zu trennen, das verdeutlicht ja schon der Beginn, wenn Mascha Schneider Texte von Brecht und Margarete Steffin spricht, die uns erschreckend aktuell erscheinen. Sie trägt Kleidung und Frisur aus den 1940er Jahren, doch worüber sie spricht, geht uns heute unmittelbar an. Die Desillusionierung findet auf dieser Ebene, auf der Ebene der Entstehungszeit des Stücks statt, ja, sie findet aber vor allem bei Galilei statt sowie bei den Figuren um ihn herum, die ja ebenfalls größere Verluste zu verkraften haben.
Das Bühnenbild zeigt eine große senkbare Plexiglasscheibe, die wie ein großer Himmelskörper aussehen kann, auf der die Spielenden aber auch stehen. Außerdem hängt ein Traversenkreis mit Scheinwerfern in der Mitte der Bühne. Beide Elemente bewegen sich nahezu lautlos. Was hat Dich zu dieser Setzung inspiriert?
Inspiriert haben mich astronomische Modelle aus der Zeit Galileis, die Laufbahnen der Himmelskörper, die Galilei durch sein Fernrohr in der Lage ist zu beobachten.
Aber auch die heutige Raumfahrt und heutiges Industriedesign: Ich wollte darum in erster Linie Standardmaterialien der Veranstaltungstechnik benutzen und so einen starken Bezug zum Heute setzen.
Die Bühne ist groß und leer, doch sie arbeitet auch mit Illusionen, die nur kurz darauf durch offenen Umbauten wieder zerstört werden. So bildet der Traversenkreis gemeinsam mit dem Podest, Scheinwerfern und Nebel je nach Positionierung ein Astrolab, verschiedene Sternkonstellationen mit Sonne und Mond oder den Rahmen für den großen Auftritt des Papstes oder Hanns Eisler. Es gibt keine geschlossene Welt, wie auch das Brecht’sche Theater sie nicht vorsah.
Zum Ende hin kommt alles zum Stillstand, die Scheibe wird abgebaut und angeschrägt, der Eiserne Vorhang verkleinert den Bühnenraum auf die Vorbühne, denn Galileis Welt hat sich ebenfalls verengt und verkleinert.
Soll ich denn auch noch etwas zur „Brecht-Gardine“ sagen?
Ja, gerne!
Alice Buddeberg und ich hatten in unserer gemeinsamen Vorbereitung über diesen Brecht-Vorhang gesprochen, der zwar vor der Bühne zugezogen wurde, der jedoch so kurz war, dass man Beine und Füße während des Umbaus sah oder teilweise die Umzüge der Schauspielenden beobachten konnte.
Ich sah sofort einen roten Samtvorhang vor mir. Rot, das habe ich dann gelesen, war zu Galileis Zeit den Kardinälen vorbehalten und versinnbildlichte ihre Treue zum Papst und das Gelübde, ihn notfalls bis aufs Blut zu verteidigen.
So verband sich in meinem Kopf die Idee, den Brecht-Vorhang auch als Kostüm zu benutzen. Die Kardinäle des Collegium Romanum stecken ja recht alptraumhaft ihre Gesichter und Hände durch den Vorhang, während ihre Körper sich hinter dem Vorhang abzeichnen. Gemeinsam bilden sie einen Schutzwall gegen Galilei und seiner neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die die Vormachtstellung der Kirche bedroht.
Interview: Emma Charlott Ulrich
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Margarete Steffin arbeitete mit Brecht an der Erstfassung von „Leben des Galilei“ im dänischen Exil. Sie war enge Mitarbeiterin Brechts, politisch Gesinnte, Geliebte.
Am 28. Februar 1933 ging Bertolt Brecht ins Exil. Seine Flucht führte ihn über verschiedene europäische Länder bis in die USA – eine Zusammenfassung seiner Stationen, hören Sie hier.
Der historische Galileo Galilei entdeckte nicht nur die Jupitermonde, sondern führte zahlreiche Experimente zum Fallen und zur Bewegung von Körpern durch; seine Studien legten die Grundlagen der modernen Physik.