How not to raise a feminist son oder da ist sie, zugespitzt auf zwei Stunden Theater: die ganze patriarchale Macht- und Gewaltspirale. Nichts für schwache Nerven, ganz wie im richtigen Leben. Der Mann, das Maß der Dinge, die philosophische Größe, zeigt sein Recht des Stärkeren in allen seinen Möglichkeiten, nicht enden wollend und facettenreich. Wir erleben das ganze toxische Verhalten der binären Geschlechtslogik. Wir sehen dabei zu, wie ein Kind, bereit zur bedingungslosen Kooperativität und Liebe, in unsere Lebensrealität hineinerzogen wird. Das ist der wahre Missbrauch, die Weitergabe des lodernden Feuers eines hierarchischen Prinzips, innerhalb dessen man die Wahl hat zwischen Skylla und Charybdis: Hedonismus oder Selbstaufgabe.

Und wer jetzt sagt, völlig übertrieben und alles gar nicht so schlimm, überprüfe bitte zuerst den eigenen Safe Space und die persönlichen Privilegien aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe und/oder sozialem Status und verlasse für ein paar Gedankenspiele die persönliche Komfortzone. Damit wäre allen geholfen. Ich habe mich als weiße, mitteleuropäische Frau mit Universitätsabschluss dazu entschieden, zu der Herausforderung der Darstellung expliziter Gewaltausübung auf der Bühne ja zu sagen, nicht um sie genussvoll zu reproduzieren, sondern um ein weiteres Mal zu sagen, hier ist das Problem, das sind unsere tradierten Verhaltensmuster, schaut doch bitte endlich her! Die Debatte ist eröffnet.

PS: Ich danke den Schauspieler*innen für ihr beispielhaftes Zur-Verfügung-Stellen ihrer eigenen
lebenslang inkorporierten Genderperformance.

Fanny Brunner
HANDLUNG

Naomi und East sind seit vier Jahren „einsam“ verheiratet. Eines Morgens finden sie vor ihrer Tür ein Baby. Auf einem beigelegten Zettel steht die Bitte, beide mögen das Kind großziehen. Sie nehmen es als ihr eigenes an und sind plötzlich Vater und Mutter eines Sohnes. Christopher lernt rasend schnell und durchlebt binnen zwei Stunden den Verlauf eines
ganzen männlichen Daseins.
Wenn sich jemand scheiße verhält. Vor allem eine Frau. Nennt man sie Fotze.
Immer auf der Suche nach einem Sinn fordert er seine Eltern heraus und stellt ihr gewohntes Leben in Frage.
Das ist das Leben? Etwas, das man erträgt?
Christopher hasst Streit. Er provoziert das Paar. Er verlangt Alkohol, Sex, Drogen. Es kommt zu Gewaltausbrüchen. Alles führt zum Exzess, und trotzdem erhält er weiterhin ihre Zuwendung.
Im Grunde ist er ganz lieb.
Wir haben darüber gesprochen, wie man sein Leben lebt.
Christopher will eine Beziehung zu Gott finden und Missionar werden. Sein letzter Wachstumsschub führt zum Lebensende als müder alter Mann. Er prophezeit Naomi, dass sie schwanger ist, von East, und dass es ein Junge wird.
Guido Lambrecht. Foto: Thomas M. Jauk
„Unser ganzes brutales Leben“
In Noah Haidles schwarzer Komödie "Das beste aller möglichen Leben" wird Guido Lambrecht zum Extremschauspieler.
Herausforderungen scheut Guido Lambrecht nicht. Vielmehr sucht er sie gezielt in seinen Rollen, braucht sie vielleicht sogar, um genau die leichtfüßige Intensität auf der Bühne zu transportieren, die sein Spiel ausmacht. Die Rolle des Christopher in Noah Haidles „Das beste aller möglichen Leben“, das am 21. September in der Regie von Fanny Brunner Premiere hat, scheint deshalb wie für ihn geschrieben. Denn was könnte herausfordernder sein, als ein ganzes Leben abzubilden, das sich in zwei Stunden vollzieht?

Christopher ist ein Findelkind, das Naomi und East, einem kinderlosen Ehepaar, vor die Haustür gelegt wird. Bereits knapp nach seiner Geburt kann er tanzen, kurz darauf sprechen und philosophische Probleme lösen. So rasant geht es weiter, bis er nach zwei Stunden als alter Mann stirbt. Dazwischen erlebt er alle Emotions- und Hormonschübe, die
sich sonst auf mehrere Jahre verteilen – was zu surrealen Szenen führt.

Guido Lambrecht empfand den Text sofort als griffig. Das schnell heranwachsende Kind, das sich zwischen verzweifelter Suche nach Liebe und fordernder Aggressivität bewegt, hat ihn angesprochen. „Die Figur birgt natürlich auch die Gefahr, dass man sich ihr zu artistisch annähert, sie zu sehr zerdenkt“, sagt er. Um das zu vermeiden, versucht er seine Rollen nie vor den Proben festzulegen. „Im Moment zu reagieren und aus ihm heraus die Rolle zu entwickeln, auch in Zusammenarbeit mit den Kolleg* innen und der Regisseurin ist viel spannender.“

Für diese spezielle Rolle hilft es, dass Lambrecht selbst Kinder und Enkelkinder verschiedenen Alters hat. Er weiß um die unterschiedlichen, teilweise extremen Entwicklungsschübe – und auch um die Rohheit, die mit ihnen einhergeht. Denn obwohl „Das beste aller möglichen Leben“ als schwarze Komödie geschrieben und vorrangig ein philosophischer Text über den Sinn des Lebens sowie die Kraft von zwischenmenschlichen Beziehungen ist, beinhaltet er auch einige brutale Szenen. Als Christopher etwa ins junge Erwachsenenalter kommt, besteht er auf
seine ersten sexuellen Erfahrungen und vergewaltigt sowohl Naomi als auch East. Später nimmt er Drogen und stirbt beinahe an einer Überdosis.

Sein Exzess steht im Gegensatz zu dem alltäglichen Trott, an den sich das Paar längst gewöhnt hat. Der Sohn fungiert als Spiegelfläche der Eltern und konfrontiert sie mit sich selbst. Sehr direkt fragt der Text: Wieviel Sinn steckt in unseren Handlungen? Und welche sind existenziell? Alle, findet Guido Lambrecht. „Die Extreme des Textes sind nötig, um unser ganzes brutales Leben darzustellen.“

Gerade Kinder haben am Anfang ihres Lebens noch kein Moralverständnis, probieren sich aus und sind auch mal gewalttätig, so Lambrecht. „Besonders bei Menschen, in deren Nähe sie sich sicher fühlen.“ In dem Stück sei das alles natürlich aufs Extremste komprimiert, aber in einem relevanten Rahmen. „Die wichtigen Figuren sind die Eltern“, sagt Lambrecht. Ihre Entwicklung, ihre Katharsis sei das wesentliche Motiv. Und das hoffnungsvolle. „Wir können unseren Horizont immer wieder erweitern und unser Leben oder sogar die Welt positiv beeinflussen. Zumindest glaube ich daran – auch wenn es eine ständige Herausforderung ist.“

Sarah Kugler (Erschienen in der ZUGABE Sept. 2024)
ZITATE ZUM STÜCK

Kinder machen nicht das, was wir sagen, sondern das, was wir tun. Die Beziehung zu einem Kind ist keine Einbahnstraße. Das Kind soll nicht nur das entgegennehmen, was wir ihm geben wollen. Wir müssen auch bereit sein, das entgegenzunehmen, was unsere Kinder uns geben.
Jesper Juul, Familientherapeut

Was heißt das eigentlich, ein Mann, ein echter Mann zu sein? Unterdrückung der Gefühle. Verschweigen der Sensibilität. Angst vor der unzureichenden Größe seines Schwanzes. Die Frau zum Höhepunkt bringen zu müssen, auch wenn sie selbst nicht einmal weiß, wie. Seine Schwäche nicht zeigen. Seine Sinnlichkeit unterdrücken. Immer den ersten Schritt
machen müssen. Nicht um Hilfe bitten können. Mutig sein müssen, auch wenn man überhaupt keine Lust dazu hat. Die Kraft rühmen, egal, ob sie einem liegt. Aggressiv sein. Karriere machen, um sich bessere Frauen zu leisten. Seine Homosexualität fürchten. Nicht zu sehr auf seinen Körper achten. Der Brutalität der anderen Männer unterworfen sein, ohne sich zu beklagen. Sich verteidigen können, auch wenn man sanft ist. Von seiner Weiblichkeit abgeschnitten sein, analog zu den Frauen, die auf ihre Männlichkeit verzichten, nicht weil es in einer bestimmten Situation notwendig ist oder wegen seines Charakters, sondern weil der kollektive Körper es verlangt.
Virginie Despentes (King Kong Theorie)