Tiere im Widerstand
Der Dramatiker Peter Thiers über Schreiben für das Theater, sein Stück "Zähne und
Krallen" und den Reiz von Bühnenfiguren in Tiergestalt
Du bist in Rostock aufgewachsen, hast in Leipzig und Hamburg Dramaturgie studiert. Wie bist du zum Schreiben für das Theater gekommen?
Das war ein ganz natürlicher Übergang. Seit ich fünfzehn war, hatte ich Prosa geschrieben, dann studiert und als Dramaturg viel mit Theatertexten gearbeitet. Dabei entstand der Gedanke, mich selbst schriftstellerisch der Dramatik zu nähern. Im Kontext des Studiums ergaben sich erste Möglichkeiten, zuerst kleine, kürzere Theatertexte zu verfassen. Aus diesem Herantasten begann der Weg zum ersten Stück.
Was ist für dich das Besondere am Schreiben für das Theater?
Dass es so direkt ist. Figuren stehen sich gegenüber, nur mit ihren Körpern und ihrer Sprache gerüstet. In der Art und Weise, wie sie mit diesen Mitteln umgehen, erzählen sie über sich und ihr Leben. In der Dramatik ist die Dauer des Erlebten für das Publikum meist auf zwei oder vielleicht drei Stunden begrenzt. Wir erfahren also direkt, wer diese Figuren sind, was sie voneinander fordern – und erleben, wie sie versuchen, sich gegenseitig das abzuringen, was sie vom Leben wollen. Das mag ich sehr. Auch, dass ein Theatertext immer unfertig ist. Ich gebe ihn in diesem Fall an euch – an die Regie, ans Bühnen- und Kostümbild, ans Ensemble –, und dann beginnt eine Kollaboration, ein Aufeinanderzubewegen, ein Aushandeln jener Gestalt, die das Stück auf der Bühne haben wird.
Du bist auch Regisseur. Hast du beim Schreiben einer Szene eine plastische Vorstellung davon?
Überhaupt nicht. Ich sehe die Figuren nie auf einer Bühne und habe von ihnen eher eine sprachliche Vorstellung. Es macht mir Spaß, die Umsetzung nicht mitdenken zu müssen und es der Regie nicht unbedingt einfach zu machen. Das provoziert eine Menge Kreativität.
Das stimmt, bei „Zähne und Krallen“ gibt es zum Beispiel eine polizeiliche Ermittlung mit ständigen Zeitsprüngen zurück zu verschiedensten Momenten des zu untersuchenden Falls. Hier machst du es der Regie wirklich nicht leicht …
… und auch mir selbst nicht. Mein Ziel ist es, mich beim Schreiben immer wieder selbst herauszufordern, um einfache Antworten zu vermeiden, ganz besonders inhaltlich. Im Idealfall entsteht ein Theaterabend, den man zu Beginn des Schreibens so selbst nicht hat kommen sehen.
„Zähne und Krallen“ ist als Auftragswerk für das Theater und Orchester Heidelberg entstanden. Hatte der Entstehungsprozess einen besonderen Charakter?
Ich habe dort eng mit der Regisseurin und der Dramaturgin zusammengearbeitet. Sehr früh haben wir gemeinsam die Form und die Figuren besprochen, Gedanken weiterentwickelt. Das ergab viel Input und konstruktives Feedback für mich. So ist die Komplexität von „Zähne und Krallen“ über mehrere Arbeitsfassungen hinweg enorm gewachsen.
Wie würdest du mit wenigen Worten beschreiben, worum es im Stück geht?
Die Figuren haben Tiergestalt, sie sind Katzen, Eichhörnchen, Pferde, Elefanten. Sie versuchen, sich in einer Welt voller Unterschiede ihren eigenen Platz zu erkämpfen, sind dabei jedoch auf jeweils sehr eigene Arten von Diskriminierungen betroffen, gegen die sie ankämpfen müssen. Doch bei der Wahl der Mittel schießen sie dabei manchmal gefährlich über das Ziel hinaus.
Warum hast du den Figuren eine Tiergestalt gegeben?
Bei dem Geschehen, das an einer Universität spielt, geht es stark um das Thema Widerstand. Ich wollte dort Figuren aus gegensätzlichen Milieus in Konflikte bringen. Schnell war mir klar, dass es schwierig ist, diese Milieus eins zu eins mit menschlichen Figuren abzubilden, ohne dabei in Stereotype zu verfallen. Die gegenseitigen Vorurteile und Erwartungen an die Tierrollen ergaben sich für mich daher aus den Fabeln und Mythologien, die wir als Menschen seit hunderten von Jahren rund um diese Tiere gesponnen haben.
Welcher thematische Ansatzpunkt war dir besonders wichtig?
Die Unruhen an einer Universität – einem Ort, der die Tiere eigentlich bilden, „zivilisieren“ soll, wie die Politikerin Greif im Stück so plakativ sagt. In der Fauna von „Zähne und Krallen“ ist die Erwartungshaltung an Bildung so enorm, weil die Tiere versuchen, ihre Natur abzuwerfen. Dadurch entstehen noch größere Kontraste als unter uns Menschen – die dann wiederum zu neuen Konflikten führen. Die Tierfiguren sind gebildet, ausgebildet, belesen – und gehen dann doch in die sehr körperliche Aktion des Widerstands, des Kampfes.
Du warst bei der Konzeptions- und Leseprobe dabei. Worauf bist du gespannt, wenn du zur Premiere wieder nach Potsdam kommst?
Das Stück hier auf der großen Bühne zu sehen, mit diesem tollen Ensemble, das ich bereits kennenlernen durfte – darauf freue ich mich sehr.
Arbeitest du gerade an einem neuen Stück?
Ja, diesmal ohne Tiere. Aber wer weiß …
Das Interview führte Bettina Jantzen
Das war ein ganz natürlicher Übergang. Seit ich fünfzehn war, hatte ich Prosa geschrieben, dann studiert und als Dramaturg viel mit Theatertexten gearbeitet. Dabei entstand der Gedanke, mich selbst schriftstellerisch der Dramatik zu nähern. Im Kontext des Studiums ergaben sich erste Möglichkeiten, zuerst kleine, kürzere Theatertexte zu verfassen. Aus diesem Herantasten begann der Weg zum ersten Stück.
Was ist für dich das Besondere am Schreiben für das Theater?
Dass es so direkt ist. Figuren stehen sich gegenüber, nur mit ihren Körpern und ihrer Sprache gerüstet. In der Art und Weise, wie sie mit diesen Mitteln umgehen, erzählen sie über sich und ihr Leben. In der Dramatik ist die Dauer des Erlebten für das Publikum meist auf zwei oder vielleicht drei Stunden begrenzt. Wir erfahren also direkt, wer diese Figuren sind, was sie voneinander fordern – und erleben, wie sie versuchen, sich gegenseitig das abzuringen, was sie vom Leben wollen. Das mag ich sehr. Auch, dass ein Theatertext immer unfertig ist. Ich gebe ihn in diesem Fall an euch – an die Regie, ans Bühnen- und Kostümbild, ans Ensemble –, und dann beginnt eine Kollaboration, ein Aufeinanderzubewegen, ein Aushandeln jener Gestalt, die das Stück auf der Bühne haben wird.
Du bist auch Regisseur. Hast du beim Schreiben einer Szene eine plastische Vorstellung davon?
Überhaupt nicht. Ich sehe die Figuren nie auf einer Bühne und habe von ihnen eher eine sprachliche Vorstellung. Es macht mir Spaß, die Umsetzung nicht mitdenken zu müssen und es der Regie nicht unbedingt einfach zu machen. Das provoziert eine Menge Kreativität.
Das stimmt, bei „Zähne und Krallen“ gibt es zum Beispiel eine polizeiliche Ermittlung mit ständigen Zeitsprüngen zurück zu verschiedensten Momenten des zu untersuchenden Falls. Hier machst du es der Regie wirklich nicht leicht …
… und auch mir selbst nicht. Mein Ziel ist es, mich beim Schreiben immer wieder selbst herauszufordern, um einfache Antworten zu vermeiden, ganz besonders inhaltlich. Im Idealfall entsteht ein Theaterabend, den man zu Beginn des Schreibens so selbst nicht hat kommen sehen.
„Zähne und Krallen“ ist als Auftragswerk für das Theater und Orchester Heidelberg entstanden. Hatte der Entstehungsprozess einen besonderen Charakter?
Ich habe dort eng mit der Regisseurin und der Dramaturgin zusammengearbeitet. Sehr früh haben wir gemeinsam die Form und die Figuren besprochen, Gedanken weiterentwickelt. Das ergab viel Input und konstruktives Feedback für mich. So ist die Komplexität von „Zähne und Krallen“ über mehrere Arbeitsfassungen hinweg enorm gewachsen.
Wie würdest du mit wenigen Worten beschreiben, worum es im Stück geht?
Die Figuren haben Tiergestalt, sie sind Katzen, Eichhörnchen, Pferde, Elefanten. Sie versuchen, sich in einer Welt voller Unterschiede ihren eigenen Platz zu erkämpfen, sind dabei jedoch auf jeweils sehr eigene Arten von Diskriminierungen betroffen, gegen die sie ankämpfen müssen. Doch bei der Wahl der Mittel schießen sie dabei manchmal gefährlich über das Ziel hinaus.
Warum hast du den Figuren eine Tiergestalt gegeben?
Bei dem Geschehen, das an einer Universität spielt, geht es stark um das Thema Widerstand. Ich wollte dort Figuren aus gegensätzlichen Milieus in Konflikte bringen. Schnell war mir klar, dass es schwierig ist, diese Milieus eins zu eins mit menschlichen Figuren abzubilden, ohne dabei in Stereotype zu verfallen. Die gegenseitigen Vorurteile und Erwartungen an die Tierrollen ergaben sich für mich daher aus den Fabeln und Mythologien, die wir als Menschen seit hunderten von Jahren rund um diese Tiere gesponnen haben.
Welcher thematische Ansatzpunkt war dir besonders wichtig?
Die Unruhen an einer Universität – einem Ort, der die Tiere eigentlich bilden, „zivilisieren“ soll, wie die Politikerin Greif im Stück so plakativ sagt. In der Fauna von „Zähne und Krallen“ ist die Erwartungshaltung an Bildung so enorm, weil die Tiere versuchen, ihre Natur abzuwerfen. Dadurch entstehen noch größere Kontraste als unter uns Menschen – die dann wiederum zu neuen Konflikten führen. Die Tierfiguren sind gebildet, ausgebildet, belesen – und gehen dann doch in die sehr körperliche Aktion des Widerstands, des Kampfes.
Du warst bei der Konzeptions- und Leseprobe dabei. Worauf bist du gespannt, wenn du zur Premiere wieder nach Potsdam kommst?
Das Stück hier auf der großen Bühne zu sehen, mit diesem tollen Ensemble, das ich bereits kennenlernen durfte – darauf freue ich mich sehr.
Arbeitest du gerade an einem neuen Stück?
Ja, diesmal ohne Tiere. Aber wer weiß …
Das Interview führte Bettina Jantzen
BIOTOP DER TIER-MENSCHEN
Aus Fabeln, Märchen, Erzählungen, Cartoons, Animationsfilmen oder Comicserien kennen wir menschengestaltige Tierfiguren, bei denen sich auf jeweils spezielle Weise Tierisches und Menschliches verbindet – in der äußeren Erscheinung, im körperlichen und sprachlichen Verhalten, in der Kombination von animalischem Instinkt mit menschlichem Intellekt. Solche Tier-Menschen bzw. Menschen-Tiere stehen im Mittelpunkt dieses Stückes. Sie gehören hier unterschiedlichen Arten an und besetzen beispielhaft einen bestimmten Platz innerhalb einer (Hack-)Ordnung. Dabei sind ihre Einstellungen, Perspektiven und Anliegen äußerst gegensätzlich. Zuerst scheint es, dass im Biotop der Universität animalische Verhaltensmuster abgelegt und das Jäger-Beute-Schema außer Kraft gesetzt wären, dass hier zivilisiert, respektvoll und tolerant miteinander umgegangen würde. Doch nach und nach entfaltet sich ein anderes Bild von dieser Fauna. Tiere mit Macht, Einfluss und Privilegien stehen solchen gegenüber, die sich in schwächeren, unterprivilegierten Positionen befinden. Einige haben Traumata und tiefe Prägungen im Gepäck, mit denen sie zu (über-) leben versuchen. Treffen all diese Feld-, Wald-, Fluss- oder Haustiere aufeinander, dann voller Vorurteile gegenüber den jeweils anderen. Es gelten für sie keineswegs die gleichen Rechte. Sie haben nicht dieselben Chancen auf Bildung und schon gar nicht auf einen Weg „hinauf auf die Leiter“. Bei uns Menschen würden wir es „Klassismus“ nennen: eine strukturelle und systematische Benachteiligung aufgrund der Herkunft oder der sozialen Position in der Gesellschaft, in der verschiedene Lebensweisen unterschiedlich auf- oder abgewertet
werden. Und wir Menschen würden von „Rassismus“ sprechen, wenn – wie in dieser Konstellation – ein Tier aufgrund seiner äußeren Merkmale beurteilt wird und durch die anderen stereotype Zuschreibungen erfährt, die weder mit seiner konkreten Persönlichkeit noch mit realen Geschehnissen etwas zu tun haben.
Das Stück fragt danach, was Proteste und Widerstandsaktionen bewirken, und ob sich tief verinnerlichte Denkmuster und Verhaltensweisen des dominanten Teils der (Tier-) Gesellschaft aufbrechen lassen. Oder gibt es stattdessen starke reaktionäre Bestrebungen? Wo könnten sich Türen/Gatter öffnen für Begegnungen auf Augenhöhe, für wirkliche Gerechtigkeit und Chancengleichheit? Welches Tier wäre bereit, offen und mutig neue und vielleicht auch unbequeme Pfade des Miteinanders zu betreten…?
Unentwegt spielt das Stück mit Analogien zwischen Tier- und Menschengesellschaft und bringt kraft der Verfremdung die Themen und Konfliktfelder direkt zur Sprache. Gleichzeitig fordert es dazu heraus, darüber nachzudenken, wie ein durch verschiedenste Formen von Diskriminierungen geprägtes System kritisiert und vor allem verändert werden könnte.
Bettina Jantzen
werden. Und wir Menschen würden von „Rassismus“ sprechen, wenn – wie in dieser Konstellation – ein Tier aufgrund seiner äußeren Merkmale beurteilt wird und durch die anderen stereotype Zuschreibungen erfährt, die weder mit seiner konkreten Persönlichkeit noch mit realen Geschehnissen etwas zu tun haben.
Das Stück fragt danach, was Proteste und Widerstandsaktionen bewirken, und ob sich tief verinnerlichte Denkmuster und Verhaltensweisen des dominanten Teils der (Tier-) Gesellschaft aufbrechen lassen. Oder gibt es stattdessen starke reaktionäre Bestrebungen? Wo könnten sich Türen/Gatter öffnen für Begegnungen auf Augenhöhe, für wirkliche Gerechtigkeit und Chancengleichheit? Welches Tier wäre bereit, offen und mutig neue und vielleicht auch unbequeme Pfade des Miteinanders zu betreten…?
Unentwegt spielt das Stück mit Analogien zwischen Tier- und Menschengesellschaft und bringt kraft der Verfremdung die Themen und Konfliktfelder direkt zur Sprache. Gleichzeitig fordert es dazu heraus, darüber nachzudenken, wie ein durch verschiedenste Formen von Diskriminierungen geprägtes System kritisiert und vor allem verändert werden könnte.
Bettina Jantzen
Weiterführende Links
Mehr über den Dramatiker und Regisseur Peter Thiers erfahren Sie auf seiner Website.
In einem Beitrag vom 1.2.2023 spricht die „junge bühne“ mit Peter Thiers über den Beruf des Dramatikers, über Stückaufträge, seine Impulse und Anliegen beim Schreiben.
Der Blogbeitrag „Soziale Ungleichheit im Gepäck: Das ist Klassismus“ fasst zusammen, was Klassismus ist, wer davon betroffen ist und warum er gesellschaftliche Teilhabe verhindert.
„Please mind the gap: Was ist eigentlich Klassismus?“, das fragt die Soziologin Katharina Warda.
Wie sehr prägt Klassismus das Bildungssystem? Welche Hebel braucht es, um die Sensibilität dafür zu fördern und Bildungsräume klassismussensibel zu gestalten? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich das Themendossier „Klassismus in Schulen".
Informationen über die Diskriminierungsform Rassismus – eine Ideologie, die Menschen aufgrund ihres Äußeren, ihres Namens, ihrer (vermeintlichen) Kultur, Herkunft oder Religion abwertet – finden Sie hier.
Eine umfangreiche Themenauswahl gibt es zu hier zu Fragen wie: Was ist Rassismus, wie ist er entstanden und warum immer noch viele glauben, es gebe Rassen.