Eldorado in our hearts
Ein Essay von Sina Katharina Flubacher
Ein namenloses Ich wandelt auf den Ruinen der Zivilisation, fragt nach der Wurzel der Katastrophe. Wie konnte es so weit kommen, wo es doch alles voraussah, alles wusste?
Thomas Köck hat mit seinem Stück „eure paläste sind leer (all we ever wanted)“ einen Text geschrieben, der sich tief ins Herz europäischer Fortschrittsgeschichte gräbt und diese aus der Perspektive einer Welt am Abgrund beleuchtet. Zentral darin: Eine wechselhafte, widersprüchliche Figur. Angelehnt an den mythologischen Seher Teiresias, der mit seinen Orakeln an der Schnittstelle von Politik, Religion und Gesellschaft steht, entwirft Thomas Köck eine Figur, die zeitloser nicht sein könnte. Wissend sieht sie auf die Fehlentwicklungen der Welt, ohne etwas gegen sie zu tun. Mehr noch: Sie zieht sich mit ihren Prophezeiungen hinter diejenigen zurück, die über die Welt entscheiden. Nun, im Durchschreiten der verlassenen Paläste und vor den Trümmern der Gesellschaft steht sie vor der Frage nach ihrer Verantwortung.
„alles haben wir gewusst von anfang an / und getrotzt haben wir dem ende so lange es ging“
Inspiriert von Dantes „Göttlicher Komödie“ lässt Köck seine Figur(en) die Hölle (inferno), das Fegefeuer (purgatorio) und schließlich das Paradies (paradiso) durchschreiten – immer in der Hoffnung auf Erlösung. Über diese Hoffnung verbinden sich motivisch auch die unterschiedlichen Zeit- und Erzählebenen im Stück, das einen epischen Bogen von der Suche nach der Goldstadt Eldorado über die Sehnsucht nach Vergessen und Auflösung im Drogenrausch spannt.
„eldorado in our hearts in our venes we come for you“
Die Idee eines „Eldorado“, eines sinngebenden Sehnsuchtsbildes, eint alle Figuren. Doch was ist dieses Eldorado angesichts einer Welt, die in den letzten Zügen liegt? Die Szenen in den leeren Palästen spiegeln immer wieder eine dystopische Zukunft. Wer werden wir gewesen sein? Was soll von uns bleiben?
Figuren und Szenen werden skizziert und sind bereits beim Entstehen wieder im Verschwinden begriffen. Das ist exemplarisch für Thomas Köcks Schreiben, der Geschichten nicht über psychologische Vorgänge und Handlungen erzählt, sondern über eine Gleichzeitigkeit von Ereignissen. Köcks Texte setzen die Gegenwart in Bezug zur Vergangenheit, untersuchen sie auf Spuren und Sedimente bestimmter historischer Ordnungen. Dabei spielt das Geisterhafte in Thomas Köcks Texten eine große Rolle. Sie beeinflussen die Gegenwart im Sinne der Derridaschen „Hantologie“: Ideen und Theorien bleiben wie Geister über ihre Epochen hinaus in der Gegenwart präsent und prägen diese.
Auch in „eure paläste sind leer (all we ever wanted)“ blitzen die Geister anderer Zeiten immer wieder auf. Spanische Konquistadoren segeln unter kirchlicher Flagge und mit unstillbarer Gier in die Neue Welt. Auf der Suche nach dem sagenumwobenen Eldorado unterwerfen sie brutal Land und Bevölkerung. Berauscht von Macht und Goldgier etablieren der Konquistador Don Gairre – angelehnt an Werner Herzogs wahnsinnige Figur aus „Aguirre – Zorn Gottes“ – und sein Begleiter Don Stepano im brasilianischen Dschungel ein Terrorregime. Hart dagegen schneidet Köck Szenen aus der amerikanischen Opioidkrise, die bis heute mehr als eine Million Tote forderte. Ein Manager, einstiger Spitzenverdiener und nun eines der vielen Rauschgiftoper, wird von einem Filmteam belagert und dreht durch. Arbeiter*innen in einem Schlachthaus kollabieren an den Maschinen, in ihrer Blutbahn eine Mischung aus Aufputsch- und Beruhigungsmitteln. Seit der Jahrtausendwende wurden und werden bis heute in den USA massenhaft süchtig machende Schmerz- und Beruhigungsmittel verschrieben – Opioide, die bis zu fünfzigmal stärker wirken als Heroin und für hunderttausende Todesfälle pro Jahr verantwortlich sind. Gewinner der Epidemie ist der Pharmakonzern Purdue, der mit dem Medikament Milliardenumsätze machte.
„wir werden eldorado erreichen koste es was es wolle“
Diese Auswüchse des Kapitalismus beginnen bei ebenjenen Konquistadoren, die sich hochverschuldet in die Neue Welt aufmachen in der Hoffnung auf Rendite. Sie markieren den Startpunkt einer europäischen Expansion, die den Grundstein legt für die Art, wie bis heute Erde und Menschen ausbeutet werden. Sie markieren auch den Startpunkt für eine bis dato nie dagewesene Vernetzung der Welt über Waren und Rohstoffe, die Voraussetzung der heutigen Globalisierung ist. Als Christoph Kolumbus 1492 in See stach, war von einer Vormachtstellung Europas noch nicht viel zu spüren. Sein Fußabdruck auf dem neuen Kontinent war ein zufälliger; ein Irrtum, suchte er doch eigentlich den Seeweg nach Indien. Doch mit seiner Eroberung öffnete sich ein Machtkorridor über die Welt und über das, was wir als Geschichte begreifen.
„Und alles was ich aus der geschichte gelernt habe / ist dass wir nicht aus der geschichte lernen / ist dass sie kein ende findet ist / dass sie kein ende findet“
Geschichte ist das Ergebnis von Macht. Es kommt darauf an, wer sie erzählt. So ähnlich hat es bereits Sven Lindqvist in seinem Buch „Rottet die Bestien aus“ formuliert, in dem er dem Selbstbild Europas als Wiege von Fortschritt und Demokratie seine brutale Expansionspolitik entgegensetzt. In diesem Sinne verdunkelt sich das Jahrhundert der Aufklärung, wenn man nur die Perspektive wechselt. Kolonialismus, Sklavenhandel, Völkermorde und Rassismus stehen der Idee von Vernunft, Gleichheit und Menschenrechten diametral gegenüber. Sie zeigen die Ambivalenzen der europäischen Geschichte auf – und die Verantwortung, sich damit auseinanderzusetzen.
Thomas Köck hat mit seinem Stück „eure paläste sind leer (all we ever wanted)“ einen Text geschrieben, der sich tief ins Herz europäischer Fortschrittsgeschichte gräbt und diese aus der Perspektive einer Welt am Abgrund beleuchtet. Zentral darin: Eine wechselhafte, widersprüchliche Figur. Angelehnt an den mythologischen Seher Teiresias, der mit seinen Orakeln an der Schnittstelle von Politik, Religion und Gesellschaft steht, entwirft Thomas Köck eine Figur, die zeitloser nicht sein könnte. Wissend sieht sie auf die Fehlentwicklungen der Welt, ohne etwas gegen sie zu tun. Mehr noch: Sie zieht sich mit ihren Prophezeiungen hinter diejenigen zurück, die über die Welt entscheiden. Nun, im Durchschreiten der verlassenen Paläste und vor den Trümmern der Gesellschaft steht sie vor der Frage nach ihrer Verantwortung.
„alles haben wir gewusst von anfang an / und getrotzt haben wir dem ende so lange es ging“
Inspiriert von Dantes „Göttlicher Komödie“ lässt Köck seine Figur(en) die Hölle (inferno), das Fegefeuer (purgatorio) und schließlich das Paradies (paradiso) durchschreiten – immer in der Hoffnung auf Erlösung. Über diese Hoffnung verbinden sich motivisch auch die unterschiedlichen Zeit- und Erzählebenen im Stück, das einen epischen Bogen von der Suche nach der Goldstadt Eldorado über die Sehnsucht nach Vergessen und Auflösung im Drogenrausch spannt.
„eldorado in our hearts in our venes we come for you“
Die Idee eines „Eldorado“, eines sinngebenden Sehnsuchtsbildes, eint alle Figuren. Doch was ist dieses Eldorado angesichts einer Welt, die in den letzten Zügen liegt? Die Szenen in den leeren Palästen spiegeln immer wieder eine dystopische Zukunft. Wer werden wir gewesen sein? Was soll von uns bleiben?
Figuren und Szenen werden skizziert und sind bereits beim Entstehen wieder im Verschwinden begriffen. Das ist exemplarisch für Thomas Köcks Schreiben, der Geschichten nicht über psychologische Vorgänge und Handlungen erzählt, sondern über eine Gleichzeitigkeit von Ereignissen. Köcks Texte setzen die Gegenwart in Bezug zur Vergangenheit, untersuchen sie auf Spuren und Sedimente bestimmter historischer Ordnungen. Dabei spielt das Geisterhafte in Thomas Köcks Texten eine große Rolle. Sie beeinflussen die Gegenwart im Sinne der Derridaschen „Hantologie“: Ideen und Theorien bleiben wie Geister über ihre Epochen hinaus in der Gegenwart präsent und prägen diese.
Auch in „eure paläste sind leer (all we ever wanted)“ blitzen die Geister anderer Zeiten immer wieder auf. Spanische Konquistadoren segeln unter kirchlicher Flagge und mit unstillbarer Gier in die Neue Welt. Auf der Suche nach dem sagenumwobenen Eldorado unterwerfen sie brutal Land und Bevölkerung. Berauscht von Macht und Goldgier etablieren der Konquistador Don Gairre – angelehnt an Werner Herzogs wahnsinnige Figur aus „Aguirre – Zorn Gottes“ – und sein Begleiter Don Stepano im brasilianischen Dschungel ein Terrorregime. Hart dagegen schneidet Köck Szenen aus der amerikanischen Opioidkrise, die bis heute mehr als eine Million Tote forderte. Ein Manager, einstiger Spitzenverdiener und nun eines der vielen Rauschgiftoper, wird von einem Filmteam belagert und dreht durch. Arbeiter*innen in einem Schlachthaus kollabieren an den Maschinen, in ihrer Blutbahn eine Mischung aus Aufputsch- und Beruhigungsmitteln. Seit der Jahrtausendwende wurden und werden bis heute in den USA massenhaft süchtig machende Schmerz- und Beruhigungsmittel verschrieben – Opioide, die bis zu fünfzigmal stärker wirken als Heroin und für hunderttausende Todesfälle pro Jahr verantwortlich sind. Gewinner der Epidemie ist der Pharmakonzern Purdue, der mit dem Medikament Milliardenumsätze machte.
„wir werden eldorado erreichen koste es was es wolle“
Diese Auswüchse des Kapitalismus beginnen bei ebenjenen Konquistadoren, die sich hochverschuldet in die Neue Welt aufmachen in der Hoffnung auf Rendite. Sie markieren den Startpunkt einer europäischen Expansion, die den Grundstein legt für die Art, wie bis heute Erde und Menschen ausbeutet werden. Sie markieren auch den Startpunkt für eine bis dato nie dagewesene Vernetzung der Welt über Waren und Rohstoffe, die Voraussetzung der heutigen Globalisierung ist. Als Christoph Kolumbus 1492 in See stach, war von einer Vormachtstellung Europas noch nicht viel zu spüren. Sein Fußabdruck auf dem neuen Kontinent war ein zufälliger; ein Irrtum, suchte er doch eigentlich den Seeweg nach Indien. Doch mit seiner Eroberung öffnete sich ein Machtkorridor über die Welt und über das, was wir als Geschichte begreifen.
„Und alles was ich aus der geschichte gelernt habe / ist dass wir nicht aus der geschichte lernen / ist dass sie kein ende findet ist / dass sie kein ende findet“
Geschichte ist das Ergebnis von Macht. Es kommt darauf an, wer sie erzählt. So ähnlich hat es bereits Sven Lindqvist in seinem Buch „Rottet die Bestien aus“ formuliert, in dem er dem Selbstbild Europas als Wiege von Fortschritt und Demokratie seine brutale Expansionspolitik entgegensetzt. In diesem Sinne verdunkelt sich das Jahrhundert der Aufklärung, wenn man nur die Perspektive wechselt. Kolonialismus, Sklavenhandel, Völkermorde und Rassismus stehen der Idee von Vernunft, Gleichheit und Menschenrechten diametral gegenüber. Sie zeigen die Ambivalenzen der europäischen Geschichte auf – und die Verantwortung, sich damit auseinanderzusetzen.
Weiterführende Links
Klimamaßnahmen für das Stück „eure paläste sind leer (all we ever wanted)“:
Ausstatterin Henriette Hübschmann spricht über Thomas Köcks Stück "eure paläste sind leer (all we ever wanted)" und die Anforderungen an eine klimaneutrale Theaterproduktion:
Lebende Pflanzen sind die Stars im Bühnenbild von "eure paläste sind leer (all we ever wanted)":
„What the world needs now. Klima-Infografik am Theater“: Ausstellung von studentischen Arbeiten der Fachhochschule Potsdam
Informationen zur Nachhaltigkeit am Hans Otto Theater:
Wie schleicht man sich an den Tod heran und was hat das Ganze mit Geistern zu tun? Thomas Köck gibt in der Hamburger Poetikvorlesung Einblick in sein Schreiben:
Um die Stadt Eldorado ranken sich viele Legenden. 1533 erbeutet Francisco Pizarro bei den Inkas zahlreiche Goldschätze und löst damit einen wahren Hype um die Suche nach Eldorado aus. Wie der Mythos von der Goldstadt entstand:
Europäische Errungenschaften basieren auf der kolonialen Ausbeutung anderer Länder. Dieser Fakt ist jedoch kein selbstverständlicher Bestandteil der Erzählung über unseren eigenen Kontinent. Zeit das zu ändern.
Seit über 20 Jahren führt die massenhafte Verschreibung von Schmerzmitteln in den USA jährlich zu hunderttausenden Todesfällen. Der Siegeszug des opioidhaltigen Mittels OxyContin ist die Erfolgsgeschichte des Pharmakonzerns Purdue, der Milliardenumsatz mit Süchtigen machte.