„Der Kopf im Vulkan, die Glieder tanzen“
Regisseur Sascha Hawemann über Magie und Verrat, seine Inszenierung von Klaus Manns Roman Mephisto und eine Anleihe bei Brecht
Nach „Die Stützen der Gesellschaft“ inszeniert Sascha Hawemann zur Spielzeiteröffnung in Potsdam „Mephisto“ nach dem Roman von Klaus Mann. Dabei interessiert ihn weniger die Ruhmsucht des Romanhelden Hendrik Höfgen alias Gustaf Gründgens, vielmehr plädiert er für einen „größeren Ansatz“.
Mephisto“ ist für dich in erster Linie ein „Roman über Anpassung, Karrierismus und Dimensionen des Verrats“. Was macht den Kern dieser Geschichte aus?
Sascha Hawemann: Es geht um künstlerischen Opportunismus in einer Zeit, die eine klare politische Haltung und Handeln verlangt. In dem Fall vor dem Hintergrund eines aufkommenden totalitären, menschenverachtenden Regimes. Was wir ja auch gerade erleben: eine Radikalisierung in der Gesellschaft, ein Prozess, in dem du dich als Künstler politisch positionieren musst und der Rückzug auf das Theater als selbstreferenzielle Kunstinsel nicht mehr reicht.
Gustaf Gründgens hat sich in den späten Zwanzigern erst gegen die Nazis gestellt, machte dann aber im Dritten Reich Karriere. Im Nachkriegsdeutschland stand er wieder ganz oben in der Theaterwelt. Du sagst: „Für mich ist Gründgens kein Arschloch.“ Wie blickst du auf diesen Menschen bzw. auf die Figur Hendrik Höfgen im Roman?
Hawemann: Ich hab schon ne klare kritische Haltung, aber ich suche dennoch nach gesellschaftlichen und persönlichen Widersprüchen. Die muss man in dieser Figur sehen: die Dialektik von Angst und Karrierismus, Opportunismus und Erfolgsgier. Gründgens fällt diese Entscheidung nicht leicht. Das Schauspieler-Sein macht seine ganze Existenz als Mensch aus. Wann höre ich auf, Künstler zu sein, und fange an, nur noch politischer Aktivist zu sein? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Außerdem spielt Angst eine sehr große Rolle. Er ist ein sehr ängstlicher Mensch. Kunst schaffen und Angst haben gehen bei ihm Hand in Hand. Er war ein Homosexueller im Dritten Reich. Als solcher war er extrem gefährdet. Der Paragraph 175 schickte Tausende in die Konzentrationslager, in den Tod. Mit dieser Todesangst stand er auf der Bühne, mit dieser Angst war er Intendant. Eine Haltung verlangt Mut – er hat nur ein Mütlein.
Klaus Mann und Gustaf Gründgens waren miteinander befreundet. Dann trennten sich ihre Wege radikal. Welche Rolle spielt Klaus Mann in deinem Inszenierungsansatz?
Hawemann: Ich arbeite mit zwei Zeitebenen. Die eine zeigt die Entstehung des Romans im Exil. Parallel dazu läuft das eigentliche Stück. Dabei fand ich das Flüchtlingsschicksal erzählenswert, den hohen Preis politischen Handelns. Was bedeutet es, als Schriftsteller kein Zuhause mehr zu haben, nicht mehr arbeiten zu können? Den Abbruch eines Lebens! Das erleben wir gerade millionenfach.
Du hast eine eigene Theaterfassung zu „Mephisto“ geschrieben. Worauf zielt sie ab?
Hawemann: Einerseits gibt es die Sicht von Klaus Mann, die aus einem schäbigen Hotelzimmer heraus erzählt wird. Dabei berichtet er nicht nur, sondern er interagiert auch mit seinem eigenen Stück. Und andererseits ist es auch ein
Stück über Theater, darüber, wie Theater funktioniert. Es geht mir auch darum, auf sinnliche Art begreiflich zu machen, warum man Kunst liebt. Dass dieses leidenschaftliche Leben auf der Bühne auch zum Verrat führen kann, weil sie verführerisch ist. Frei nach Thomas Mann, der gesagt hat: „Alle Schauspieler suchen das Licht. Sie umschwirren das Licht wie die Glühwürmchen.“ Sie sind angezogen von dieser Magie. Das möchte ich miterzählen: Magie und Verrat.
Sind Schauspieler*innen besonders anfällig für Opportunismus?
Hawemann: Nein! Aber die Konsequenz, nicht mehr Künstler sein, nicht mehr in seiner Sprache arbeiten zu können, ist natürlich viel größer als in anderen Berufen. Das habe ich in Jugoslawien erfahren …
… während deines Studiums in Belgrad …
Hawemann: … es betraf einen befreundeten Schauspielerkollegen. Als der Bürgerkrieg anfing, standen wir vor der Frage: Gehen oder bleiben? Ich entschied mich wegzugehen, egal, was passiert. Die Kunst war mir in dem Moment ziemlich egal, ich wollte einfach nicht bei diesem nationalistischen Wahnsinn mitmachen. Mein Freund aber sagte: Ich kann einfach nicht! Das ist meine Sprache, meine Kultur, mein Leben! Das bin ich!
Was ist aus ihm geworden?
Hawemann: Er hat sechs Jahre lang in London gekellnert und parallel dazu die Sprache gelernt, bis er sie so gut konnte, dass er wieder Schauspieler werden konnte. Seitdem spielt er überwiegend russische Mafiosi. Denn das kommt noch dazu: Wenn du im Ausland etwas spielst, dann meist das Klischee, das der westeuropäische Markt von dir erwartet.
Die Romanfigur Otto Ulrichs in „Mephisto“ ist an Hans Otto, den Namensgeber unseres Theaters, angelehnt, der seinen Kampf gegen die Nazis mit dem Leben bezahlen musste. Wie siehst du Hans Otto?
Hawemann: Er ist der Gegenentwurf zu Gustaf Gründgens. Als politischer Künstler stellt er sich mit absoluter Konsequenz gegen den Faschismus. Das Ausmaß seines Engagements gefährdet ihn selbst und führt am Ende zu seiner viehischen Ermordung.
Wer oder was wäre Hans Otto heute?
Hawemann: Ein politischer Künstler und Aktivist, der mit der E-Gitarre in Chemnitz gegen Nazis spielt oder in einem Künstlerkollektiv antikapitalistisch im öffentlichen Raum agiert.
Mal abgesehen von Gründgens und Otto: Du wehrst dich dagegen, in den Figuren des Romans nur die historischen Vorbilder zu sehen. Was stört dich daran?
Hawemann: Ich halte mich an Klaus Mann, der gesagt hat: Das ist kein Schlüsselroman, sondern es ist der „Roman einer Karriere“ – er hat das viel allgemeiner gefasst. Was ich interessant finde, denn dadurch geht es nicht mehr um individuelle Eigenheiten und Eitelkeiten, sondern wirklich darum, wie sich der Einzelne konkret in politischen Krisenzeiten verhält. Ich habe da eher einen Brechtianischen Ansatz. Sonst versteckt man das hinter so einer bürgerlichen Psychopathologie. Der Einzelne macht Geschichte? Völliger Quatsch! Im Dritten Reich haben Millionen aus Opportunismus und Karrierismus mitgemacht, davon einige Tausend Künstler.
Dem Ensemble hast gleich zu Probenbeginn erklärt: „Alle sind Mephisto!“ Warum?
Hawemann: Eben darum – weil es um das Modellverhalten von Opportunismus geht und dennoch das Individuelle der einzelnen Schauspieler zu sehen sein soll. Im Roman sagt eine Figur: „Ich bin gegen Starkult.“ Ich auch. Ich liebe das Ensemble, das gemeinsame Tun. Gemeinsam im Mephisto sein.
Die zwanziger Jahre gelten als die roaring twentys – es heißt, das Leben sei ein „Tanz auf dem Vulkan“ gewesen. Wieviel von diesem rauschhaften Lebensgefühl möchtest du deiner Inszenierung mitgeben?
Hawemann: Viel! Es geht ja nicht um die Rekonstruktion einer Zeit. Ein Übermaß an Hedonismus ist meist der Vorbote einer Katastrophe. Eine Rauschreaktion auf Wirtschaftskrise, Sinnkrise, kommenden Krieg. Ich suche eigentlich immer nach der Relation zur Gegenwart. Wir sehen die Welt ja schon schmelzen, brennen! Und dann stellt sich die Frage, wieviel Leben nehmen wir noch mit? Ich glaube, so war es auch in den Zwanzigern in der Weimarer Republik. Die weltpolitische Unruhe und die Demokratiekrise in Deutschland waren so groß, dass man sich letztlich betäubt und beschleunigt hat, um das alles nicht sehen zu müssen. Den Faschismus, den Stalinismus, die Inflation. Der Kopf im Vulkan, die Glieder tanzen.
Du hast mal gesagt: „Für mich war Theater immer Rock’n Roll. Nicht nur Text.“ Inwiefern gilt das auch für „Mephisto“?
Hawemann: Rock’n’ Roll ist Leidenschaft, Rausch, Anarchie, Poesie, Freiheit, das Heraustreten aus bürgerlicher Sicherheit, Konsumtion und Kontrolle. Man darf nicht vergessen, dass Gründgens absolut ein Typ seiner Zeit war: Er nahm Drogen, war pansexuell, hing nachts in Bars rum. Seine innere Unruhe ist nicht spießig. Umso interessanter finde ich es, dass so jemand dann dem Dritten Reich – der Diktatur der Kleinbürger – anheimfällt.
Der Roman endet 1936. Das ist bei euch aber nicht der Schluss.
Hawemann: Nee. Der Schluss ist bei uns, dass Gründgens auch nach dem Krieg wieder Karriere macht. Es war mir wichtig, das in all seiner Widersprüchlichkeit weiterzuführen. Erst war er ein Salonkommunist, dann ein angepasster NS-Schützling und in der Bundesrepublik natürlich wieder am Drücker. Ein deutscher Jedermann. Eine deutsche Geschichte.
Interview: Björn Achenbach
Erschienen in: ZUGABE Hans Otto Theater Magazin 04-2023
Mephisto“ ist für dich in erster Linie ein „Roman über Anpassung, Karrierismus und Dimensionen des Verrats“. Was macht den Kern dieser Geschichte aus?
Sascha Hawemann: Es geht um künstlerischen Opportunismus in einer Zeit, die eine klare politische Haltung und Handeln verlangt. In dem Fall vor dem Hintergrund eines aufkommenden totalitären, menschenverachtenden Regimes. Was wir ja auch gerade erleben: eine Radikalisierung in der Gesellschaft, ein Prozess, in dem du dich als Künstler politisch positionieren musst und der Rückzug auf das Theater als selbstreferenzielle Kunstinsel nicht mehr reicht.
Gustaf Gründgens hat sich in den späten Zwanzigern erst gegen die Nazis gestellt, machte dann aber im Dritten Reich Karriere. Im Nachkriegsdeutschland stand er wieder ganz oben in der Theaterwelt. Du sagst: „Für mich ist Gründgens kein Arschloch.“ Wie blickst du auf diesen Menschen bzw. auf die Figur Hendrik Höfgen im Roman?
Hawemann: Ich hab schon ne klare kritische Haltung, aber ich suche dennoch nach gesellschaftlichen und persönlichen Widersprüchen. Die muss man in dieser Figur sehen: die Dialektik von Angst und Karrierismus, Opportunismus und Erfolgsgier. Gründgens fällt diese Entscheidung nicht leicht. Das Schauspieler-Sein macht seine ganze Existenz als Mensch aus. Wann höre ich auf, Künstler zu sein, und fange an, nur noch politischer Aktivist zu sein? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Außerdem spielt Angst eine sehr große Rolle. Er ist ein sehr ängstlicher Mensch. Kunst schaffen und Angst haben gehen bei ihm Hand in Hand. Er war ein Homosexueller im Dritten Reich. Als solcher war er extrem gefährdet. Der Paragraph 175 schickte Tausende in die Konzentrationslager, in den Tod. Mit dieser Todesangst stand er auf der Bühne, mit dieser Angst war er Intendant. Eine Haltung verlangt Mut – er hat nur ein Mütlein.
Klaus Mann und Gustaf Gründgens waren miteinander befreundet. Dann trennten sich ihre Wege radikal. Welche Rolle spielt Klaus Mann in deinem Inszenierungsansatz?
Hawemann: Ich arbeite mit zwei Zeitebenen. Die eine zeigt die Entstehung des Romans im Exil. Parallel dazu läuft das eigentliche Stück. Dabei fand ich das Flüchtlingsschicksal erzählenswert, den hohen Preis politischen Handelns. Was bedeutet es, als Schriftsteller kein Zuhause mehr zu haben, nicht mehr arbeiten zu können? Den Abbruch eines Lebens! Das erleben wir gerade millionenfach.
Du hast eine eigene Theaterfassung zu „Mephisto“ geschrieben. Worauf zielt sie ab?
Hawemann: Einerseits gibt es die Sicht von Klaus Mann, die aus einem schäbigen Hotelzimmer heraus erzählt wird. Dabei berichtet er nicht nur, sondern er interagiert auch mit seinem eigenen Stück. Und andererseits ist es auch ein
Stück über Theater, darüber, wie Theater funktioniert. Es geht mir auch darum, auf sinnliche Art begreiflich zu machen, warum man Kunst liebt. Dass dieses leidenschaftliche Leben auf der Bühne auch zum Verrat führen kann, weil sie verführerisch ist. Frei nach Thomas Mann, der gesagt hat: „Alle Schauspieler suchen das Licht. Sie umschwirren das Licht wie die Glühwürmchen.“ Sie sind angezogen von dieser Magie. Das möchte ich miterzählen: Magie und Verrat.
Sind Schauspieler*innen besonders anfällig für Opportunismus?
Hawemann: Nein! Aber die Konsequenz, nicht mehr Künstler sein, nicht mehr in seiner Sprache arbeiten zu können, ist natürlich viel größer als in anderen Berufen. Das habe ich in Jugoslawien erfahren …
… während deines Studiums in Belgrad …
Hawemann: … es betraf einen befreundeten Schauspielerkollegen. Als der Bürgerkrieg anfing, standen wir vor der Frage: Gehen oder bleiben? Ich entschied mich wegzugehen, egal, was passiert. Die Kunst war mir in dem Moment ziemlich egal, ich wollte einfach nicht bei diesem nationalistischen Wahnsinn mitmachen. Mein Freund aber sagte: Ich kann einfach nicht! Das ist meine Sprache, meine Kultur, mein Leben! Das bin ich!
Was ist aus ihm geworden?
Hawemann: Er hat sechs Jahre lang in London gekellnert und parallel dazu die Sprache gelernt, bis er sie so gut konnte, dass er wieder Schauspieler werden konnte. Seitdem spielt er überwiegend russische Mafiosi. Denn das kommt noch dazu: Wenn du im Ausland etwas spielst, dann meist das Klischee, das der westeuropäische Markt von dir erwartet.
Die Romanfigur Otto Ulrichs in „Mephisto“ ist an Hans Otto, den Namensgeber unseres Theaters, angelehnt, der seinen Kampf gegen die Nazis mit dem Leben bezahlen musste. Wie siehst du Hans Otto?
Hawemann: Er ist der Gegenentwurf zu Gustaf Gründgens. Als politischer Künstler stellt er sich mit absoluter Konsequenz gegen den Faschismus. Das Ausmaß seines Engagements gefährdet ihn selbst und führt am Ende zu seiner viehischen Ermordung.
Wer oder was wäre Hans Otto heute?
Hawemann: Ein politischer Künstler und Aktivist, der mit der E-Gitarre in Chemnitz gegen Nazis spielt oder in einem Künstlerkollektiv antikapitalistisch im öffentlichen Raum agiert.
Mal abgesehen von Gründgens und Otto: Du wehrst dich dagegen, in den Figuren des Romans nur die historischen Vorbilder zu sehen. Was stört dich daran?
Hawemann: Ich halte mich an Klaus Mann, der gesagt hat: Das ist kein Schlüsselroman, sondern es ist der „Roman einer Karriere“ – er hat das viel allgemeiner gefasst. Was ich interessant finde, denn dadurch geht es nicht mehr um individuelle Eigenheiten und Eitelkeiten, sondern wirklich darum, wie sich der Einzelne konkret in politischen Krisenzeiten verhält. Ich habe da eher einen Brechtianischen Ansatz. Sonst versteckt man das hinter so einer bürgerlichen Psychopathologie. Der Einzelne macht Geschichte? Völliger Quatsch! Im Dritten Reich haben Millionen aus Opportunismus und Karrierismus mitgemacht, davon einige Tausend Künstler.
Dem Ensemble hast gleich zu Probenbeginn erklärt: „Alle sind Mephisto!“ Warum?
Hawemann: Eben darum – weil es um das Modellverhalten von Opportunismus geht und dennoch das Individuelle der einzelnen Schauspieler zu sehen sein soll. Im Roman sagt eine Figur: „Ich bin gegen Starkult.“ Ich auch. Ich liebe das Ensemble, das gemeinsame Tun. Gemeinsam im Mephisto sein.
Die zwanziger Jahre gelten als die roaring twentys – es heißt, das Leben sei ein „Tanz auf dem Vulkan“ gewesen. Wieviel von diesem rauschhaften Lebensgefühl möchtest du deiner Inszenierung mitgeben?
Hawemann: Viel! Es geht ja nicht um die Rekonstruktion einer Zeit. Ein Übermaß an Hedonismus ist meist der Vorbote einer Katastrophe. Eine Rauschreaktion auf Wirtschaftskrise, Sinnkrise, kommenden Krieg. Ich suche eigentlich immer nach der Relation zur Gegenwart. Wir sehen die Welt ja schon schmelzen, brennen! Und dann stellt sich die Frage, wieviel Leben nehmen wir noch mit? Ich glaube, so war es auch in den Zwanzigern in der Weimarer Republik. Die weltpolitische Unruhe und die Demokratiekrise in Deutschland waren so groß, dass man sich letztlich betäubt und beschleunigt hat, um das alles nicht sehen zu müssen. Den Faschismus, den Stalinismus, die Inflation. Der Kopf im Vulkan, die Glieder tanzen.
Du hast mal gesagt: „Für mich war Theater immer Rock’n Roll. Nicht nur Text.“ Inwiefern gilt das auch für „Mephisto“?
Hawemann: Rock’n’ Roll ist Leidenschaft, Rausch, Anarchie, Poesie, Freiheit, das Heraustreten aus bürgerlicher Sicherheit, Konsumtion und Kontrolle. Man darf nicht vergessen, dass Gründgens absolut ein Typ seiner Zeit war: Er nahm Drogen, war pansexuell, hing nachts in Bars rum. Seine innere Unruhe ist nicht spießig. Umso interessanter finde ich es, dass so jemand dann dem Dritten Reich – der Diktatur der Kleinbürger – anheimfällt.
Der Roman endet 1936. Das ist bei euch aber nicht der Schluss.
Hawemann: Nee. Der Schluss ist bei uns, dass Gründgens auch nach dem Krieg wieder Karriere macht. Es war mir wichtig, das in all seiner Widersprüchlichkeit weiterzuführen. Erst war er ein Salonkommunist, dann ein angepasster NS-Schützling und in der Bundesrepublik natürlich wieder am Drücker. Ein deutscher Jedermann. Eine deutsche Geschichte.
Interview: Björn Achenbach
Erschienen in: ZUGABE Hans Otto Theater Magazin 04-2023
Schauspieler Guido Lambrecht antwortet auf fünf Fragen zur „Mephisto“-Inszenierung
Worum geht es in dem Stück?
Um einen vom Theater besessenen Künstler, der wegen der eigenen Karriere seine alten Freunde und Ideale verrät und einen Pakt mit dem Teufel schließt. Im Zentrum steht die Figur Hendrik Höfgen, die an die reale Biographie des hoch umstrittenen Theatermannes Gustav Gründgens angelehnt ist. Gründgens wurde ja im 3. Reich zur künstlerischen Galionsfigur des NS-Regimes, um dann auch in der Nachkriegs-BRD wieder ganz oben zu stehen. Unser Stück ist eine Adaption des berühmten, skandalumwitterten Romans „Mephisto“ von Klaus Mann. Dabei spielt in unserer Fassung auch Klaus Mann eine wichtige Rolle. In den 20er Jahren waren Klaus Mann und Hendrik Höfgen enge künstlerische Weggenossen und wahrscheinlich auch ein Liebespaar.
Was erwartet den Zuschauer in dieser Inszenierung?
Anfangs erzählen wir von der Faszination der Theaterwelt Ende der 20er Jahre mit ihren Höhepunkten und Abgründen, vom Kampf um Anerkennung, von der Lust am Spiel, von künstlerischen Ambitionen, von Rivalität und davon, wie eng Kunst und Politik zusammenhängen. Außerdem spielen pansexuelles Begehren und die Sehnsucht nach Exzess eine große Rolle. Wir sind ja in den „roaring twenties“. Dann verdüstert sich der Horizont: Die Herrschaft der Nazis wirft ihre Schatten voraus. Es geht um Verrat und um die Perspektive der Opfer des Systems, die geschunden, gefoltert und ermordet werden. Eine der Figuren des Stücks ist an den Namensgeber unseres Theaters angelehnt: an den Schauspieler Hans Otto, der ja für den antifaschistischen Kampf mit seinem Leben bezahlt hat.
Warum sollte man sich das Stück unbedingt ansehen.
Wir wollen einen wuchtigen, mutigen Theaterabend auf die Bühne bringen, der berührt, aufrüttelt, unterhält und zugleich zum Nachdenken anregt. Wir arbeiten mit ganz unterschiedlichen Mitteln: mit viel Körpereinsatz, großer Spiellust und Leidenschaft, mit Musik, außergewöhnlichen Kostümen, krassen Verwandlungen und Kontrasten zwischen Komik und Depression, Hybris und Zweifel, Action und Stille. Dabei geht es um Fragen, die kaum aktueller sein könnten: Wie verhält man sich als Künstler, als Mensch, wenn Rechtsradikale auf dem Vormarsch sind? Was bedeutet es Haltung zu zeigen, standhaft zu bleiben, Widerstand zu leisten? Zu welchen Opfern ist man bereit?
Was ist Ihr Lieblingsmoment in dem Stück?
Davon gibt es einige. Zum Beispiel mag ich es, wenn die trubelige, schnelle, wilde UFA-Film-Welt auf Figuren trifft, die in Einsamkeit und Traurigkeit gefangen sind.
Welche Rolle spielen Sie und was ist dabei die Herausforderung?
Ich spiele Klaus Mann, also den Autor der Mephisto-Geschichte, den Regisseur Sascha Hawemann in unsere Fassung eingefügt hat. Klaus Mann befindet sich zur Zeit des Stücks im Exil, wo er sich dem antifaschistischen Kampf widmet und zugleich auf die gemeinsame Zeit mit Gustav Gründgens zurückblickt. Er führt eine rastlose Existenz, ist getrieben von inneren Dämonen, hat mit Drogen zu tun und ringt mit seinem Schmerz, seiner Fassungslosigkeit darüber, dass sein alter Freund zum Kollaborateur der Nazis werden konnte. Was mich besonders herausfordert, ist der Wechsel zwischen Leichtigkeit und Intensität, Liebe und Verzweiflung, Engagement und Depression.
(erschienen in: Märkische Allgemeine, 21.9.2023)
Um einen vom Theater besessenen Künstler, der wegen der eigenen Karriere seine alten Freunde und Ideale verrät und einen Pakt mit dem Teufel schließt. Im Zentrum steht die Figur Hendrik Höfgen, die an die reale Biographie des hoch umstrittenen Theatermannes Gustav Gründgens angelehnt ist. Gründgens wurde ja im 3. Reich zur künstlerischen Galionsfigur des NS-Regimes, um dann auch in der Nachkriegs-BRD wieder ganz oben zu stehen. Unser Stück ist eine Adaption des berühmten, skandalumwitterten Romans „Mephisto“ von Klaus Mann. Dabei spielt in unserer Fassung auch Klaus Mann eine wichtige Rolle. In den 20er Jahren waren Klaus Mann und Hendrik Höfgen enge künstlerische Weggenossen und wahrscheinlich auch ein Liebespaar.
Was erwartet den Zuschauer in dieser Inszenierung?
Anfangs erzählen wir von der Faszination der Theaterwelt Ende der 20er Jahre mit ihren Höhepunkten und Abgründen, vom Kampf um Anerkennung, von der Lust am Spiel, von künstlerischen Ambitionen, von Rivalität und davon, wie eng Kunst und Politik zusammenhängen. Außerdem spielen pansexuelles Begehren und die Sehnsucht nach Exzess eine große Rolle. Wir sind ja in den „roaring twenties“. Dann verdüstert sich der Horizont: Die Herrschaft der Nazis wirft ihre Schatten voraus. Es geht um Verrat und um die Perspektive der Opfer des Systems, die geschunden, gefoltert und ermordet werden. Eine der Figuren des Stücks ist an den Namensgeber unseres Theaters angelehnt: an den Schauspieler Hans Otto, der ja für den antifaschistischen Kampf mit seinem Leben bezahlt hat.
Warum sollte man sich das Stück unbedingt ansehen.
Wir wollen einen wuchtigen, mutigen Theaterabend auf die Bühne bringen, der berührt, aufrüttelt, unterhält und zugleich zum Nachdenken anregt. Wir arbeiten mit ganz unterschiedlichen Mitteln: mit viel Körpereinsatz, großer Spiellust und Leidenschaft, mit Musik, außergewöhnlichen Kostümen, krassen Verwandlungen und Kontrasten zwischen Komik und Depression, Hybris und Zweifel, Action und Stille. Dabei geht es um Fragen, die kaum aktueller sein könnten: Wie verhält man sich als Künstler, als Mensch, wenn Rechtsradikale auf dem Vormarsch sind? Was bedeutet es Haltung zu zeigen, standhaft zu bleiben, Widerstand zu leisten? Zu welchen Opfern ist man bereit?
Was ist Ihr Lieblingsmoment in dem Stück?
Davon gibt es einige. Zum Beispiel mag ich es, wenn die trubelige, schnelle, wilde UFA-Film-Welt auf Figuren trifft, die in Einsamkeit und Traurigkeit gefangen sind.
Welche Rolle spielen Sie und was ist dabei die Herausforderung?
Ich spiele Klaus Mann, also den Autor der Mephisto-Geschichte, den Regisseur Sascha Hawemann in unsere Fassung eingefügt hat. Klaus Mann befindet sich zur Zeit des Stücks im Exil, wo er sich dem antifaschistischen Kampf widmet und zugleich auf die gemeinsame Zeit mit Gustav Gründgens zurückblickt. Er führt eine rastlose Existenz, ist getrieben von inneren Dämonen, hat mit Drogen zu tun und ringt mit seinem Schmerz, seiner Fassungslosigkeit darüber, dass sein alter Freund zum Kollaborateur der Nazis werden konnte. Was mich besonders herausfordert, ist der Wechsel zwischen Leichtigkeit und Intensität, Liebe und Verzweiflung, Engagement und Depression.
(erschienen in: Märkische Allgemeine, 21.9.2023)
„Mephisto": Die Wiederkehr des Verdrängten
(1981 erschien der Roman „Mephisto“- obwohl juristisch verboten - wieder auf dem westdeutschen Buchmarkt. Ein Spiegel-Artikel aus diesem Jahr skizziert die skandalumwitterten Umstände, die mit dem Roman verbunden sind. Hier Auszüge aus diesem online abrufbaren Artikel:)
Heimlich und hoffnungsvoll hatte der Rowohlt Verlag 30 000 Exemplare des suspekten Werks drucken lassen -heimlich, um keine schlafenden Hunde zu wecken, hoffnungsvoll, daß sich für diese Auflage genug Käufer fänden. Am 2. Januar kam, durch kein Inserat, keinen Prospekt angekündigt, die Taschenbuchausgabe von Klaus Manns Roman „Mephisto“ auf den Markt. Inzwischen läuft das 250. Tausend durch die Druckmaschinen, der Verkaufserfolg dieses Buches ist an Schnelligkeit ohne Beispiel und kaum zureichend zu erklären aus dem Reiz des Verbotenen -- doch kein schlafender Hund läßt von sich hören.
Das Buch, das nun seit Wochen täglich tausendfach verkauft wird, ist verboten, zweifelsfrei, seit 15 Jahren, in letzter Instanz durch Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht -doch kein Staatsanwalt, der eben noch seine Leute hinter dem letzten »Playboy«-Ausklapp-Photo herhetzen ließ, streckt nun auch nur ein Fingerchen nach „Mephisto“ aus. Karlsruhe schweigt. Der Run auf „Mephisto“ aber wächst weiter und weiter. In Gang gebracht hat ihn
die französische Bühnenfassung von Ariane Mnouchkine, die letztes Frühjahr in Berlin und in München gastierte; weitergetrieben haben ihn Raubdrucke des Romans; die Verfilmung ist fertig; und am vergangenen Freitag hatte der Mnouchkine-„Mephisto“ in Stuttgart seine erste Premiere auf deutschem Boden. Drei weitere Bühnen werden in den nächsten Wochen folgen.
Klaus Manns „Mephisto“ ist -- strittig mag sein, zu wieviel Prozent und auf welchem Niveau -- ein Schlüsselroman über Gustaf Gründgens; weil er diesen verleumde, ist er verboten. Der „Mephisto“-Boom, und nur das mag ihn erklären, zeugt von der ungebrochenen Überlebenskraft und Faszination der Gründgens-Legende, der Legende einer Künstlerkarriere als artistisch-politischem Hochseilakt ohnegleichen. Nicht nur Teil, sondern Essenz dieser Legende ist das funkelnd Verführerische, zwielichtig Schillernde, diabolisch Unwiderstehliche, inkarniert in der Figur des Mephisto, die Gründgens über mehr als 30 Jahre öfter als jede andere gespielt hat.
Er soll der mächtigste Theatermann des Dritten Reichs gewesen sein, Görings geliebtestes Prunkstück, Bühnen-Paradepferd Nummer eins eines Regimes, das süchtig nach Kunst-Glamour und Kultur-Prestige war -- und zugleich soll er ein Held des inneren Widerstands gewesen sein, der Verfolgte beschützte, Juden zur Flucht verhalf und Kommunisten aus den Todeskellern der Gestapo rettete. (…)
Ein ehrgeiziger junger Schauspieler und Regisseur, der Mitte der zwanziger Jahre auf einer Hamburger Bühne erste kleine Erfolge hat, erste große ein paar Jahre später in Berlin; einer, von dem so weithin bekannt ist, daß er die Nazis haßt, zu den Linken hält und sich für ein „Revolutionäres Theater“ begeistert, daß er sich beim Umsturz 1933 angstvoll verkriechen muß -- und ein Jahr später wird er unter Jubel zum Herrscher über die repräsentativste Bühne des neuen Regimes ernannt. So weit, so grob stimmt die Gründgens-Biographie mit der Karriere des Roman-Helden Hendrik Höfgen überein, die Klaus Mann als Emigrant in Amsterdam 1936 beschrieb. Es ist wahrscheinlich, daß Mann (die Arbeit an einem Horst-Wessel-Roman war gescheitert) nicht einmal selbst auf die Idee kam, Gründgens als Vorbild für eine Romanfigur zu wählen, die beispielhaft den schwindelerregenden Aufstieg eines Opportunisten im Dritten Reich vorführen sollte.
Es ist glaubhaft, daß Mann nicht am Einzelfall, sondern am Exemplarischen des Typs interessiert war. Höfgen paßt zu den Mächtigen, die ihn mächtig gemacht haben, weil auch sie, blutig und blutgierig, zutiefst Komödianten sind: »Er hat ihre falsche Würde, ihren hysterischen Elan, ihren eitlen Zynismus und die billige Dämonie.« (…) Als literarisches Psychogramm des Typus Gründgens aber ist »Mephisto« grandios. Mann trifft sein gehaßtes Idol nicht nur in Physiognomie und Manieren, Attitüden, Ticks und Marotten unnachsichtig, er deckt auch hinter den Masken von Charme, Arroganz und hysterischer Geltungssucht einen Abgrund von Angst und Unwert-Gefühlen auf. Das ist grandios, weil noch Manns Haß eine Form von Mitgefühl ist; weil er mit dem hellsichtigen Entsetzen dessen schreibt, der in der tiefsten Nichtigkeit des anderen seine eigene gespiegelt findet.
„Mephisto“ ist verlogen, weil Klaus Mann sich selbst als Person ausspart. Er war 19, Gründgens 26, als die beiden sich 1925 in Hamburg begegneten, und sie waren fasziniert voneinander, weil jeder im anderen etwas zu finden glaubte, was ihm selbst abging. Dem einen die wirkungsbewußte Bravour des Komödianten, dem anderen die großbürgerliche Lässigkeit des prominenten Prominenten-Sprößlings. Zusammen mit Erika Mann und Pamela Wedekind spielten sie 1925 in Hamburg Klaus Manns Stück »Anja und Esther«. Als sie ein Jahr später zu einer »Revue zu vieren« wieder zusammenfanden, waren Gründgens und Erika Mann verheiratet, Klaus Mann und Pamela Wedekind (weil sie noch nicht volljährig waren) verlobt -- doch zum Ruhm und Image des exquisiten Quartetts, einer glitzernden Modeblüte der zwanziger Jahre, gehörte das Flair des Androgynen, Inzestuösen und Homoerotischen. Dann freilich, Knall auf Fall, heiratete Pamela den eine Generation älteren Carl Sternheim, Klaus und Erika fuhren nach Amerika, und Gründgens schrieb an seine Mutter: „Ik bin Neese.“ Vielleicht waren Klaus Mann und Gustaf Gründgens einander ähnlicher, als sie selbst erkannten -- in Homosexualität, Masochismus und langen Phasen von Drogenabhängigkeit, in Einsamkeitsangst, bedrohlicher Depressivität und in dem, was dagegen half: rastlose Betriebsamkeit, Ruhmsucht, exzessive Selbstdarstellung. (…)
Einen Schluß hat „Mephisto“ nicht, nur ein Jubelfinale. Den eigentlichen Epilog dazu hat Klaus Mann 1946 erlebt und beschrieben -- in einem Manuskript, das erst 1980 publiziert wurde: Es schildert Gründgens'' ersten Nachkriegs-Auftritt in Berlin. Es erzählt, wie es dem „Maitre de plaisir des großdeutschen Reiches“ gelungen sei, „das kleine Kunststück von 1933 zu wiederholen und abermals die Seite zu wechseln“; wie er in neun Monaten Haft die Russen so für sich eingenommen habe, daß sie ihn „aus dem Gefängnis direkt ins Deutsche Theater zurückbrachten«, weil erneut eine glänzende Galionsfigur des Kulturbetriebs gebraucht wurde; und wie „die Berliner Tausende von Mark bezahlten, um bei dem triumphalen Comeback ihres Lieblings dabei zu sein“. Fassungslos hatte der Emigrant Klaus Mann 1936 den Berliner Gründgens-Jubel zur Kenntnis genommen, doppelt fassungslos stand er zehn Jahre später vor der „hysterischen Begeisterung“, mit der Berlin die Wiederkehr des „unzerstörbaren Lieblings“ feierte.
An diesem Tag begann die deutsche Nachkriegs-Theatergeschichte. Sie begann mit einem Akt der Restauration, und ihm folgten die Verrenkungen, Kriechübungen und Verdrängungsrituale, die dann bald und verlegen unter dem Etikett „Vergangenheitsbewältigung“ zu den Akten gelegt wurden. Zu diesen Akten gehört auch das Verbot eines exemplarischen Werks der antifaschistischen Agitationsliteratur durch das Bundesverfassungsgericht. „Die Allgemeinheit sei nicht daran interessiert, ein falsches Bild über die Theaterverhältnisse nach 1933 aus der Sicht eines Emigranten zu erhalten“, steht in diesem Urteil, und „es sei Klaus Mann zuzumuten gewesen, den Roman nach 1945 umzugestalten“. Das Schweigen aus Karlsruhe, das stille Begräbnis des Verbots im Jahr 1981 wird weder Mann noch Gründgens gerecht.
Klaus Mann hat sich noch in den letzten Tagen vor seinem Freitod im Mai 1949 mit einem Verleger herumgeschlagen, der aus Angst vor Gründgens keine „Mephisto“-Neuausgabe wagte. Doch auch Gründgens ist dem »Mephisto«-Trauma bis zu seinem Tod nicht entkommen: Mit dem Ruhm wuchs die Angst vor dem Buch, das er angeblich nie gelesen hatte. 1946 tut er die Anwürfe des „albernen Kläus''chen“ mit mildem Spott ab. 1950 meint er, bei einer neuen Veröffentlichung des Romans „würde ich es getrost meinen jüdischen Freunden überlassen, Seite für Seite dieses Buches zu entkräften“. Doch schon 1952 beruhigt ihn mehr ein juristisches Gutachten, wonach er gegen eine „Mephisto“-Publikation „jeden Prozeß mühelos gewinnen« würde. Noch auf dem letzten Gipfel des Weltruhms, beim „Faust“-Gastspiel 1961 in New York, wo das Publikum dicht mit Emigranten durchsetzt ist, spielt er gegen die böse Legende an. Wichtiger als der Erfolg, schreibt er seinen Vertrauten, war ihm, „daß ich meinen Mephisto nun an die Stelle von dem von Klaus Mann setzen konnte“. Er hat es nicht geschafft.
(Auszüge aus: Der Spiegel, 08.02.1981. Ohne Autorangabe:
https://www.spiegel.de/kultur/mephisto-die-wiederkehr-des-verdraengten)
Das Buch, das nun seit Wochen täglich tausendfach verkauft wird, ist verboten, zweifelsfrei, seit 15 Jahren, in letzter Instanz durch Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht -doch kein Staatsanwalt, der eben noch seine Leute hinter dem letzten »Playboy«-Ausklapp-Photo herhetzen ließ, streckt nun auch nur ein Fingerchen nach „Mephisto“ aus. Karlsruhe schweigt. Der Run auf „Mephisto“ aber wächst weiter und weiter. In Gang gebracht hat ihn
die französische Bühnenfassung von Ariane Mnouchkine, die letztes Frühjahr in Berlin und in München gastierte; weitergetrieben haben ihn Raubdrucke des Romans; die Verfilmung ist fertig; und am vergangenen Freitag hatte der Mnouchkine-„Mephisto“ in Stuttgart seine erste Premiere auf deutschem Boden. Drei weitere Bühnen werden in den nächsten Wochen folgen.
Klaus Manns „Mephisto“ ist -- strittig mag sein, zu wieviel Prozent und auf welchem Niveau -- ein Schlüsselroman über Gustaf Gründgens; weil er diesen verleumde, ist er verboten. Der „Mephisto“-Boom, und nur das mag ihn erklären, zeugt von der ungebrochenen Überlebenskraft und Faszination der Gründgens-Legende, der Legende einer Künstlerkarriere als artistisch-politischem Hochseilakt ohnegleichen. Nicht nur Teil, sondern Essenz dieser Legende ist das funkelnd Verführerische, zwielichtig Schillernde, diabolisch Unwiderstehliche, inkarniert in der Figur des Mephisto, die Gründgens über mehr als 30 Jahre öfter als jede andere gespielt hat.
Er soll der mächtigste Theatermann des Dritten Reichs gewesen sein, Görings geliebtestes Prunkstück, Bühnen-Paradepferd Nummer eins eines Regimes, das süchtig nach Kunst-Glamour und Kultur-Prestige war -- und zugleich soll er ein Held des inneren Widerstands gewesen sein, der Verfolgte beschützte, Juden zur Flucht verhalf und Kommunisten aus den Todeskellern der Gestapo rettete. (…)
Ein ehrgeiziger junger Schauspieler und Regisseur, der Mitte der zwanziger Jahre auf einer Hamburger Bühne erste kleine Erfolge hat, erste große ein paar Jahre später in Berlin; einer, von dem so weithin bekannt ist, daß er die Nazis haßt, zu den Linken hält und sich für ein „Revolutionäres Theater“ begeistert, daß er sich beim Umsturz 1933 angstvoll verkriechen muß -- und ein Jahr später wird er unter Jubel zum Herrscher über die repräsentativste Bühne des neuen Regimes ernannt. So weit, so grob stimmt die Gründgens-Biographie mit der Karriere des Roman-Helden Hendrik Höfgen überein, die Klaus Mann als Emigrant in Amsterdam 1936 beschrieb. Es ist wahrscheinlich, daß Mann (die Arbeit an einem Horst-Wessel-Roman war gescheitert) nicht einmal selbst auf die Idee kam, Gründgens als Vorbild für eine Romanfigur zu wählen, die beispielhaft den schwindelerregenden Aufstieg eines Opportunisten im Dritten Reich vorführen sollte.
Es ist glaubhaft, daß Mann nicht am Einzelfall, sondern am Exemplarischen des Typs interessiert war. Höfgen paßt zu den Mächtigen, die ihn mächtig gemacht haben, weil auch sie, blutig und blutgierig, zutiefst Komödianten sind: »Er hat ihre falsche Würde, ihren hysterischen Elan, ihren eitlen Zynismus und die billige Dämonie.« (…) Als literarisches Psychogramm des Typus Gründgens aber ist »Mephisto« grandios. Mann trifft sein gehaßtes Idol nicht nur in Physiognomie und Manieren, Attitüden, Ticks und Marotten unnachsichtig, er deckt auch hinter den Masken von Charme, Arroganz und hysterischer Geltungssucht einen Abgrund von Angst und Unwert-Gefühlen auf. Das ist grandios, weil noch Manns Haß eine Form von Mitgefühl ist; weil er mit dem hellsichtigen Entsetzen dessen schreibt, der in der tiefsten Nichtigkeit des anderen seine eigene gespiegelt findet.
„Mephisto“ ist verlogen, weil Klaus Mann sich selbst als Person ausspart. Er war 19, Gründgens 26, als die beiden sich 1925 in Hamburg begegneten, und sie waren fasziniert voneinander, weil jeder im anderen etwas zu finden glaubte, was ihm selbst abging. Dem einen die wirkungsbewußte Bravour des Komödianten, dem anderen die großbürgerliche Lässigkeit des prominenten Prominenten-Sprößlings. Zusammen mit Erika Mann und Pamela Wedekind spielten sie 1925 in Hamburg Klaus Manns Stück »Anja und Esther«. Als sie ein Jahr später zu einer »Revue zu vieren« wieder zusammenfanden, waren Gründgens und Erika Mann verheiratet, Klaus Mann und Pamela Wedekind (weil sie noch nicht volljährig waren) verlobt -- doch zum Ruhm und Image des exquisiten Quartetts, einer glitzernden Modeblüte der zwanziger Jahre, gehörte das Flair des Androgynen, Inzestuösen und Homoerotischen. Dann freilich, Knall auf Fall, heiratete Pamela den eine Generation älteren Carl Sternheim, Klaus und Erika fuhren nach Amerika, und Gründgens schrieb an seine Mutter: „Ik bin Neese.“ Vielleicht waren Klaus Mann und Gustaf Gründgens einander ähnlicher, als sie selbst erkannten -- in Homosexualität, Masochismus und langen Phasen von Drogenabhängigkeit, in Einsamkeitsangst, bedrohlicher Depressivität und in dem, was dagegen half: rastlose Betriebsamkeit, Ruhmsucht, exzessive Selbstdarstellung. (…)
Einen Schluß hat „Mephisto“ nicht, nur ein Jubelfinale. Den eigentlichen Epilog dazu hat Klaus Mann 1946 erlebt und beschrieben -- in einem Manuskript, das erst 1980 publiziert wurde: Es schildert Gründgens'' ersten Nachkriegs-Auftritt in Berlin. Es erzählt, wie es dem „Maitre de plaisir des großdeutschen Reiches“ gelungen sei, „das kleine Kunststück von 1933 zu wiederholen und abermals die Seite zu wechseln“; wie er in neun Monaten Haft die Russen so für sich eingenommen habe, daß sie ihn „aus dem Gefängnis direkt ins Deutsche Theater zurückbrachten«, weil erneut eine glänzende Galionsfigur des Kulturbetriebs gebraucht wurde; und wie „die Berliner Tausende von Mark bezahlten, um bei dem triumphalen Comeback ihres Lieblings dabei zu sein“. Fassungslos hatte der Emigrant Klaus Mann 1936 den Berliner Gründgens-Jubel zur Kenntnis genommen, doppelt fassungslos stand er zehn Jahre später vor der „hysterischen Begeisterung“, mit der Berlin die Wiederkehr des „unzerstörbaren Lieblings“ feierte.
An diesem Tag begann die deutsche Nachkriegs-Theatergeschichte. Sie begann mit einem Akt der Restauration, und ihm folgten die Verrenkungen, Kriechübungen und Verdrängungsrituale, die dann bald und verlegen unter dem Etikett „Vergangenheitsbewältigung“ zu den Akten gelegt wurden. Zu diesen Akten gehört auch das Verbot eines exemplarischen Werks der antifaschistischen Agitationsliteratur durch das Bundesverfassungsgericht. „Die Allgemeinheit sei nicht daran interessiert, ein falsches Bild über die Theaterverhältnisse nach 1933 aus der Sicht eines Emigranten zu erhalten“, steht in diesem Urteil, und „es sei Klaus Mann zuzumuten gewesen, den Roman nach 1945 umzugestalten“. Das Schweigen aus Karlsruhe, das stille Begräbnis des Verbots im Jahr 1981 wird weder Mann noch Gründgens gerecht.
Klaus Mann hat sich noch in den letzten Tagen vor seinem Freitod im Mai 1949 mit einem Verleger herumgeschlagen, der aus Angst vor Gründgens keine „Mephisto“-Neuausgabe wagte. Doch auch Gründgens ist dem »Mephisto«-Trauma bis zu seinem Tod nicht entkommen: Mit dem Ruhm wuchs die Angst vor dem Buch, das er angeblich nie gelesen hatte. 1946 tut er die Anwürfe des „albernen Kläus''chen“ mit mildem Spott ab. 1950 meint er, bei einer neuen Veröffentlichung des Romans „würde ich es getrost meinen jüdischen Freunden überlassen, Seite für Seite dieses Buches zu entkräften“. Doch schon 1952 beruhigt ihn mehr ein juristisches Gutachten, wonach er gegen eine „Mephisto“-Publikation „jeden Prozeß mühelos gewinnen« würde. Noch auf dem letzten Gipfel des Weltruhms, beim „Faust“-Gastspiel 1961 in New York, wo das Publikum dicht mit Emigranten durchsetzt ist, spielt er gegen die böse Legende an. Wichtiger als der Erfolg, schreibt er seinen Vertrauten, war ihm, „daß ich meinen Mephisto nun an die Stelle von dem von Klaus Mann setzen konnte“. Er hat es nicht geschafft.
(Auszüge aus: Der Spiegel, 08.02.1981. Ohne Autorangabe:
https://www.spiegel.de/kultur/mephisto-die-wiederkehr-des-verdraengten)
WEITERFÜHRENDE LINKS
Klaus Mann – ein biographischer Überblick in Daten:
Klaus Mann führte ein rastloses, von inneren Dämonen getriebenes Leben. Davon erzählt dieser Artikel zum 100. Geburtstag des Autors:
Gustaf Gründgens – ein biographischer Überblick in Daten:
Die Biographie von Gustaf Gründgens, seine Verstrickung mit dem NS-Regime, ist mindestens umstritten. In der Nachkriegs-BRD und bis in unsere Tage hinein wurde/wird Gründgens insgesamt eher positiv gesehen.
In einem berühmten TV-Interview mit Günter Gaus in der Reihe „Zur Person“ vom 10.Juli 1963 sprach Gustaf Gründgens über seine Existenz als Schauspieler und rechtfertigte seine Rolle in der NS-Zeit. Drei Monate später starb Gustaf Gründgens an einer Überdosis Schlaftabletten in Manila auf den Philippinen.
Gustaf Gründgens bezeichnete den Mephisto als wichtigste Rolle seines Lebens. Von großer Wirkmächtigkeit war die 1960 entstandene Verfilmung der „Faust“-Inszenierung aus dem Jahre 1957 am Hamburger Schauspielhaus, bei der Gründgens – wie schon vorher auch einige Mal – Regie führte und den Mephisto spielte. Hier Ausschnitte aus dem Film:
Auch wenn sich Klaus Mann mit guten Gründen dagegen verwahrte, seinen Roman als Schlüsselroman zu lesen und zu rubrizieren, gibt es in ihm doch zweifelsohne Bezüge zu und Überscheidungen mit realen zeitgeschichtlichen Personen. Immer wieder gab es Versuche, die realen Personen hinter den literarische Figuren auszumachen.
Die 1920er Jahre waren eine politisch aufgewühlte und gesellschaftlich wilde Zeit. Sprichwörtlich ist die Rede vom Tanz auf dem Vulkan. Dabei gab es bedeutende, einschneidende politische Entwicklungen. Die NSDAP hatte bei den Reichstagwahlen 1928 nur gut 18% der Stimmen erhalten, fünf Jahre später waren die Nazis an der Macht. Hier einige Informationen zu den historischen Hintergründen des Romans.