„Mich interessiert die Essenz“
Die Szenografin Claudia Rohner hat das Bühnenbild zu Antigone entworfen.
Ihre Bühnenbilder müssen sich in einem Satz erzählen lassen. So definiert es Claudia Rohner selbst. Beschäftigt man sich mit ihren Arbeiten, ist das nur schwer vorstellbar. Das aktuelle Bühnenkonzept zu „Antigone“ ist so komplex, so durchdacht, dass eine Beschreibung in wenigen Worten unmöglich scheint. Doch die aus Bern stammende Szenografin hat sofort einen Satz parat: „Der Diskursraum löst sich auf!“
Parallel zum Fortschreiten der Handlung verändert sich auch ihr Bühnenbild: Zu Beginn ist der Raum geöffnet, die Gäste kommen durch den Gasometer über die Hinterbühne auf die Bühne des Großen Hauses und laufen von dort über einen Steg in den Zuschauerraum. Aus dieser Perspektive können sie durch die transparente Rückwand bis ins Glasfoyer blicken. Als der Krieg zwischen den Brüdern Eteokles und Polyneikes ausbricht, beginnt auch der Raum sich zu verdichten. Später, nachdem die Brüder tot sind und der neue König Kreon sich immer mehr in seiner Alleinherrschaft verhärtet, verschwinden die roten, wie in einem Plenarsaal angeordneten Stühle von der Bühne.
„Das Publikum verkörpert mit dem Chor zusammen das Volk und erlebt das, was das Ensemble auf der Bühne zeigt, physisch mit“, sagt Rohner. „Ich gehe immer danach, was ich selbst erfahre, wenn ich ein Stück lese. Mich interessiert seine Essenz.“ Das erste Lesen sei heilig für sie, dabei brauche sie Ruhe und halte erste Eindrücke sofort in einem Notizbuch fest. „Meist entsteht dann schon irgendein Gefühl für das Bühnenbild, das ich manchmal auch wieder verwerfe, aber zu dem ich doch immer zurückkehre.“
Claudia Rohner studierte an der Zürcher Hochschule der Künste Szenisches Gestalten. Als Einzige aus ihrem Jahrgang ging sie danach ans Theater, war erst am Schauspiel Frankfurt, dann am Deutschen Theater Berlin angestellt und arbeitet seit 2005 als freischaffende Szenografin. Die genaue Berufsbezeichnung ist ihr wichtig, weil sie mehr als nur Bühnenbild umfasst. Szenograf*innen setzen Architekturen, Räume, Texte, Musik und vieles mehr für unterschiedlichste Auftraggeber in Szene. „Ich arbeite oft mit der Architektur weiter, die ich vorfinde. Mein Entwurf
wird dadurch fast unsichtbar und nur durch die Darstellenden sichtbar“, erzählt sie. „Dabei denke ich auch mit, wie das Publikum in das Stück hineinkommt.“
Und sie denkt Sprache mit: „Ich liebe die Sprache der alten Griechen oder auch die von Shakespeare, darin könnte ich mich suhlen“, sagt Rohner. Weil sie eine Allgemeingültigkeit besitzt, aber auch eine Wucht, der man sich nur schwer entziehen kann. Wie muss der Raum aussehen, damit bestimmte Sätze klingen können? In welchen Sätzen liegt viel Distanz, wo brauchen die Figuren viel Raum zwischen sich? Diese Fragen schwingen bereits beim Lesen des Textes mit.
Über manche Worte denkt sie sehr lange nach. Der Satz „Ungeheuer ist vieles / Nichts ist ungeheurer als der Mensch“, der in „Antigone“ mehrmals gesprochen wird und mit dem das Stück auch endet, hat sie besonders
beschäftigt. „Der Schluss ist sehr düster, inhaltlich und visuell“, sagt sie. Aber darin stecke auch etwas Hoffnungsvolles, Tatkräftiges. „Ich hoffe, dass man das mithört. Dass es sich nach wie vor lohnt, miteinander zu ringen und zu diskutieren.“
Sarah Kugler
Erschienen in: ZUGABE 05-2023
Parallel zum Fortschreiten der Handlung verändert sich auch ihr Bühnenbild: Zu Beginn ist der Raum geöffnet, die Gäste kommen durch den Gasometer über die Hinterbühne auf die Bühne des Großen Hauses und laufen von dort über einen Steg in den Zuschauerraum. Aus dieser Perspektive können sie durch die transparente Rückwand bis ins Glasfoyer blicken. Als der Krieg zwischen den Brüdern Eteokles und Polyneikes ausbricht, beginnt auch der Raum sich zu verdichten. Später, nachdem die Brüder tot sind und der neue König Kreon sich immer mehr in seiner Alleinherrschaft verhärtet, verschwinden die roten, wie in einem Plenarsaal angeordneten Stühle von der Bühne.
„Das Publikum verkörpert mit dem Chor zusammen das Volk und erlebt das, was das Ensemble auf der Bühne zeigt, physisch mit“, sagt Rohner. „Ich gehe immer danach, was ich selbst erfahre, wenn ich ein Stück lese. Mich interessiert seine Essenz.“ Das erste Lesen sei heilig für sie, dabei brauche sie Ruhe und halte erste Eindrücke sofort in einem Notizbuch fest. „Meist entsteht dann schon irgendein Gefühl für das Bühnenbild, das ich manchmal auch wieder verwerfe, aber zu dem ich doch immer zurückkehre.“
Claudia Rohner studierte an der Zürcher Hochschule der Künste Szenisches Gestalten. Als Einzige aus ihrem Jahrgang ging sie danach ans Theater, war erst am Schauspiel Frankfurt, dann am Deutschen Theater Berlin angestellt und arbeitet seit 2005 als freischaffende Szenografin. Die genaue Berufsbezeichnung ist ihr wichtig, weil sie mehr als nur Bühnenbild umfasst. Szenograf*innen setzen Architekturen, Räume, Texte, Musik und vieles mehr für unterschiedlichste Auftraggeber in Szene. „Ich arbeite oft mit der Architektur weiter, die ich vorfinde. Mein Entwurf
wird dadurch fast unsichtbar und nur durch die Darstellenden sichtbar“, erzählt sie. „Dabei denke ich auch mit, wie das Publikum in das Stück hineinkommt.“
Und sie denkt Sprache mit: „Ich liebe die Sprache der alten Griechen oder auch die von Shakespeare, darin könnte ich mich suhlen“, sagt Rohner. Weil sie eine Allgemeingültigkeit besitzt, aber auch eine Wucht, der man sich nur schwer entziehen kann. Wie muss der Raum aussehen, damit bestimmte Sätze klingen können? In welchen Sätzen liegt viel Distanz, wo brauchen die Figuren viel Raum zwischen sich? Diese Fragen schwingen bereits beim Lesen des Textes mit.
Über manche Worte denkt sie sehr lange nach. Der Satz „Ungeheuer ist vieles / Nichts ist ungeheurer als der Mensch“, der in „Antigone“ mehrmals gesprochen wird und mit dem das Stück auch endet, hat sie besonders
beschäftigt. „Der Schluss ist sehr düster, inhaltlich und visuell“, sagt sie. Aber darin stecke auch etwas Hoffnungsvolles, Tatkräftiges. „Ich hoffe, dass man das mithört. Dass es sich nach wie vor lohnt, miteinander zu ringen und zu diskutieren.“
Sarah Kugler
Erschienen in: ZUGABE 05-2023
JOHN VON DÜFFEL & DIE BEARBEITUNG
Der in Potsdam lebende John von Düffel, 1966 in Göttingen geboren, wuchs u.a. in Londonderry/Irland, Vermillion, South Dakota/USA und in kleineren deutschen Städten auf. Er studierte Philosophie, Volkswirtschaft und Germanistik in Stirling/Schottland und Freiburg im Breisgau, wo er 1989 promovierte. Zunächst war er Theater- und Filmkritiker, dann Dramatiker und Dramaturg, beispielsweise am Thalia Theater Hamburg und zuletzt am Deutschen Theater Berlin. Er verfasste Romane, Essays, Theaterstücke, Übersetzungen sowie Bearbeitungen und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 2014 entstand diese „Antigone“-Bearbeitung. John von Düffel erweitert hier den Konflikt zwischen Kreon und Antigone – der insbesondere durch Sophokles‘ Tragödie (442 v.Chr.) bekannt ist – um die unmittelbare Vorgeschichte. Material boten die im selben Jahrhundert entstandenen Tragödien „Sieben gegen Theben“ von Aischylos (467 v.Chr.) sowie „Die Phönizierinnen“ von Euripides (410/409 v.Chr.). Sichtbar wird Kreons Weg vom klugen Berater, der in einem Machtvakuum politische Verantwortung übernimmt, hin zum autokratischen Herrscher. Und Antigones Widerstand steht im engen Kontext zum unversöhnlichen Konflikt ihrer Brüder, den vehementen, aber erfolglosen Interventionen ihrer Mutter sowie der persönlichen Trauer. Kreons und Antigones Entwicklungen werden gleichermaßen nachvollziehbar.
ENTSCHEIDEN MÜSSEN
Ein Text von Bettina Jantzen
Die Tragödien von Aischylos, Sophokles und Euripides entstanden in einer Zeit, als Athen einen Umbruch sondergleichen erlebte. Um 462 v. Chr. entstand hier erstmals eine Demokratie, in der alle wichtigen Entscheidungen in einer Volksversammlung sowie im jährlich völlig neu zusammengesetzten „Rat der Fünfhundert“ gefällt wurden. Christian Meier entwirft in „Die politische Kunst der griechischen Tragödie“ ein Bild davon, in welch ungewöhnlichem
Ausmaß die attische Bürgerschaft plötzlich für sich selbst verantwortlich wurde (Frauen und Sklaven waren hier allerdings ausgenommen). Tausende betätigten sich regelmäßig in der Politik. Doch dafür gab es keine leitenden selbstverständlichen Maximen. Immer wieder war neues Erkennen und Urteilen notwendig. Eine Unmenge von Problemen, Einsichten, Zweifeln und Möglichkeiten entstanden. Es stellten sich Fragen nach der politischen Taktik und Strategie sowie nach Kriterien und Maßstäben, an denen sich die Urteilsbildung zu orientieren hatte. Es gab vielfach Verstöße gegen überkommene Rechtsauffassungen angesichts des Nutzens, den man mit den Entscheidungen erreichen konnte. Die neue Praxis des Handelns konnte weit von anerzogenen Regeln und Auffassungen abweichen. Fragen moralischer und religiöser Natur entstanden: Was ist überhaupt Recht? Inwieweit verpflichtet ein willkürlich gesetztes Recht? Wie soll man entscheiden zwischen dem, was moralisch erlaubt oder gar geboten ist, und dem, was der Stadt oder Teilen der Bürgerschaft zu nützen scheint? Wie sieht es mit der Beachtung moralischer Gebote in der Politik aus?
Im Rahmen mehrtägiger Feste – den Großen Dionysien – gab es Prozessionen, Opferfeiern, Wettsingen und Tragödienwettbewerbe. Diese Unterbrechung des Alltags diente der Erholung und ermöglichte, eine Distanz zu den Pflichten herzustellen. Dabei erfüllten die Tragödien eine wichtige Funktion: In ihnen erschienen die politischen Themen verfremdet im mythischen Gewand. Sie regten zu einer speziellen Art der Diskussion an, die die
tieferen Probleme der Bürgerschaft betrafen. Es ging darum, die ethischen Grundlagen der
Politik aufzufrischen, zu regenerieren, fortzubilden. Bis heute berührt das Geschehen um Kreon und Antigone wichtige Fragen: Was bedeutet es, in existentiellen Situationen – bei Kriegsgefahr oder beispielsweise einer Pandemie – Entscheidungen fällen zu müssen? Wie riskant ist es, dabei extremem Zeitdruck ausgesetzt zu sein? Stehen persönliche Interessen oft dem Handeln zum Wohl der Gemeinschaft im Wege? Kann Machtausübung und Machterhalt gelingen, wenn Fehler erkannt und öffentlich eingestanden werden? Wieviel Beratung, Kritik und alternative Impulse sollten Menschen an der Macht auf- und annehmen können? Darf ziviler Ungehorsam eine
Kursänderung in der Politik bewirken? Und überhaupt: Mit wieviel gegenseitiger Akzeptanz, Empathie und Kompromissbereitschaft können sich Menschen begegnen, die extrem gegensätzliche Positionen vertreten?
Das Publikum ist bei dieser „Antigone“-Inszenierung dem Chor sehr nahe, der die Geschichte mit den daraus entstehenden Fragen aufwirft. Und es ist eingeladen, inmitten der verschiedenen Perspektiven eine eigene Position zu finden.
Ausmaß die attische Bürgerschaft plötzlich für sich selbst verantwortlich wurde (Frauen und Sklaven waren hier allerdings ausgenommen). Tausende betätigten sich regelmäßig in der Politik. Doch dafür gab es keine leitenden selbstverständlichen Maximen. Immer wieder war neues Erkennen und Urteilen notwendig. Eine Unmenge von Problemen, Einsichten, Zweifeln und Möglichkeiten entstanden. Es stellten sich Fragen nach der politischen Taktik und Strategie sowie nach Kriterien und Maßstäben, an denen sich die Urteilsbildung zu orientieren hatte. Es gab vielfach Verstöße gegen überkommene Rechtsauffassungen angesichts des Nutzens, den man mit den Entscheidungen erreichen konnte. Die neue Praxis des Handelns konnte weit von anerzogenen Regeln und Auffassungen abweichen. Fragen moralischer und religiöser Natur entstanden: Was ist überhaupt Recht? Inwieweit verpflichtet ein willkürlich gesetztes Recht? Wie soll man entscheiden zwischen dem, was moralisch erlaubt oder gar geboten ist, und dem, was der Stadt oder Teilen der Bürgerschaft zu nützen scheint? Wie sieht es mit der Beachtung moralischer Gebote in der Politik aus?
Im Rahmen mehrtägiger Feste – den Großen Dionysien – gab es Prozessionen, Opferfeiern, Wettsingen und Tragödienwettbewerbe. Diese Unterbrechung des Alltags diente der Erholung und ermöglichte, eine Distanz zu den Pflichten herzustellen. Dabei erfüllten die Tragödien eine wichtige Funktion: In ihnen erschienen die politischen Themen verfremdet im mythischen Gewand. Sie regten zu einer speziellen Art der Diskussion an, die die
tieferen Probleme der Bürgerschaft betrafen. Es ging darum, die ethischen Grundlagen der
Politik aufzufrischen, zu regenerieren, fortzubilden. Bis heute berührt das Geschehen um Kreon und Antigone wichtige Fragen: Was bedeutet es, in existentiellen Situationen – bei Kriegsgefahr oder beispielsweise einer Pandemie – Entscheidungen fällen zu müssen? Wie riskant ist es, dabei extremem Zeitdruck ausgesetzt zu sein? Stehen persönliche Interessen oft dem Handeln zum Wohl der Gemeinschaft im Wege? Kann Machtausübung und Machterhalt gelingen, wenn Fehler erkannt und öffentlich eingestanden werden? Wieviel Beratung, Kritik und alternative Impulse sollten Menschen an der Macht auf- und annehmen können? Darf ziviler Ungehorsam eine
Kursänderung in der Politik bewirken? Und überhaupt: Mit wieviel gegenseitiger Akzeptanz, Empathie und Kompromissbereitschaft können sich Menschen begegnen, die extrem gegensätzliche Positionen vertreten?
Das Publikum ist bei dieser „Antigone“-Inszenierung dem Chor sehr nahe, der die Geschichte mit den daraus entstehenden Fragen aufwirft. Und es ist eingeladen, inmitten der verschiedenen Perspektiven eine eigene Position zu finden.
WEITERFÜHRENDE LINKS
Der animierte Beitrag von arte zur Gestalt der Antigone verdeutlicht in Vergleich mit der Inszenierung, wie die Erzählungen zur griechischen Mythologie variieren.
Weiterführend ebenfalls ein animierter Beitrag von arte zum Mythos um Ödipus, dem Vater und Halbbruder von Antigone, Ismene, Eteokles und Polyneikes:
Was ist ziviler Ungehorsam – kurz erklärt.
Ziviler Ungehorsam: Annäherung an einen umkämpften Begriff...