von links: Jan Hallmann, Jörg Dathe und Nadine Nollau (auf der Probebühne)

"Manchmal habe ich einfach nur Bock zu spielen"

Die Ensemblemitglieder Nadine Nollau, Jörg Dathe und Jan Hallmann über die Rückkehr auf die Probebühne, Goldonis Komödie "Der Diener zweier Herren" und die Faszination Sommertheater

Nach über einem Jahr fast ganz ohne Theater – wie fühlt es sich für euch an, wieder auf einer Probebühne zu stehen und gemeinsam ein Stück zu erarbeiten?
Jan Hallmann: Toll. Ich bin begeistert, wieder hier zu sein und habe alle überschwänglich begrüßt. Mal wieder ein bisschen auf’s Gas zu treten – das ist wirklich toll.
Nadine Nollau: Ich war vor der ersten Probe schon irgendwie aufgeregt, merke aber auch, dass das tatsächlich ne Übungssache ist – auch für den Körper. Ich bin echt groggy abends! Das ist nicht zu unterschätzen. Früh und abends zu proben, das ist fast wie Leistungssport. Trotzdem bin ich sehr happy, da zu sein. Da sein zu dürfen.
Hallmann: Habt ihr auch das Gefühl, dass der Text wieder besser rein­geht, weil ihr weniger parallel lernt? Mir geht es jedenfalls so.
Nollau: Das weiß ich nicht. Ich habe mir das ganz entspannt eingeteilt. Bevor ich auf die Bühne gehe, habe ich immer gern zumindest schon die Hälfte des Textes intus (lacht).
Jörg Dathe: Bei diesem Text darf man ja auch ein bisschen improvisie­ren. Ich hab mir darum vorgenommen, mal nicht alle Texte sofort drauf­zuhaben. Andere muss man ja Wort für Wort auswendig lernen, hier kann ich es locker angehen lassen. Über die Improvisation findet man Textvarianten, die sich besser sprechen lassen, als sie im Text stehen.
Hallmann: Locker anlernen – so mache ich’s auch gerade.

„Der Diener zweier Herren“ ist eher leichte Kost, die dem Publikum pure Unterhaltung verspricht – klassisches Sommertheater eben. Dem Ensemble bietet diese Komödie die Chance, sich ganz der Freude am Spiel hinzugeben. Kommt euch das nach der langen Bühnen-Abstinenz entgegen?
Dathe: Ich würde das schon sagen. Diese Art zu spielen kommt mehr aus dem Bauch heraus, es ist nicht so konzeptionell. Man kann impul­siver sein und den Affekten Zunder geben, wenn einem auf der Bühne spontan etwas einfällt. Aber ich sehe das Stück nicht nur als leichte Sommerunterhaltung. Man muss auch suchen: Worum geht es im Kern, oder worum könnte es gehen? Für mich ist es eine Geschichte über Reiche und Arme – über Menschen, die sich ihre Bedürfnisse erfüllen können, und über solche, denen es anders geht. Da steckt mehr Sinn und Inhalt drin, als man gemeinhin annimmt.
Nollau: Komödien zu proben, kann furchtbar sein. Es geht viel um Timing, man muss wahnsinnig aufpassen, wie man was zu tun hat, was das sein soll. Aber wenn man das durch hat, kann es irre spannend und lustig werden. Wenn wir erstmal ins Spielen kommen und es en suite spielen, wird es sich hochpushen. Aber die Proben werden ziemlich heftig.

Erst kommt die Arbeit, dann kommt das Vergnügen …
Nollau: … ja, ein bisschen so.
Hallmann: Es fehlt ja auch die ganze Zeit das Feedback aus dem Pub­likum. Ist das jetzt witzig oder findet es nur der Regisseur witzig, der es erfunden hat?

Könnt ihr Sommertheater im Allgemeinen etwas abgewinnen?
Dathe: Ja, ja und nochmals ja. Weil es die ursprünglichste Form von Theater ist, wo man an die alten Traditionen anknüpft und an verschiedene Orte geht, an denen man sonst nicht Theater spielt. Die Hemm­schwelle, überhaupt ins Theater zu gehen, ist geringer. Märchen und Sommertheater sind die Fundamente unseres Tuns, um sich mal wieder zu spüren – die Kraft, die Schauspiel haben kann, die Energie.
Nollau: Ich habe mal in Lübtheen Sommertheater gespielt. Da gab es ein freies Feld mit einem Gutshof, und dahinter spielte man dann. Abends radelte man in so eine kasernenähnliche Wohnung. Das hat einfach Spaß gemacht, weil die Truppe ja da war. Seitdem ist Sommer­theater für mich wie so‘n Ferienlager für Schauspieler (alle lachen). Hier am Haus ist es natürlich nicht so, aber damals dachte ich: Ach guck mal, ist ja lustig! Ich schaue mir Sommertheater auch gern selbst an. Es hat einfach eine schöne Stimmung und erzeugt eine andere Form des Miteinanders.
Hallmann: Das mit dem Ferienlager hat sich für mich beim letzten Som­mertheater hier auch eingelöst. Bei den Aufführungen saßen wir hinten direkt am Wasser, also backstage, jemand hatte eine Käseplatte mit­gebracht, es gab alkoholfreies Bier, man konnte rauchen – es war eine richtig gute Stimmung.


Genau, Jan, du hast 2019 in „The Queen’s Men“ mitgespielt. Man hat ja nicht nur das Wasser im Rücken und den Himmel über sich, sondern auch noch eine Geräuschkulisse, die gewissermaßen „mitspielt“ …
Hallmann: Ja, es fahren Boote vorbei, und ein, zwei Mal haben Schau­lustige etwas reingerufen. Oder am anderen Ufer wurden Parties gefei­ert … Aber eigentlich haben wir es immer gut geschafft, damit umzuge­hen. Davon lebt es ja auch.
Dathe: Oder es fängt langsam an zu tröpfeln, alle ziehen ihre Pelerinen an, und dann ziehen sie sie wieder aus. Und am Ende freuen sich alle, dass sie durchgekommen sind. Ich finde, das hat sehr viel mit der ur­sprünglichen Form unseres Berufes zu tun. Da müssen wir dem Film nicht so viel Konkurrenz machen. Vielleicht könnten wir unsere Spielfel­der sogar ausdehnen und „Wintertheater“ machen, in kleiner Beset­zung, irgendwas Schräges. Noch weniger Technik, weniger Licht, weni­ger Ton, dafür noch mobiler. Ich glaube, diese Art zu spielen, fasziniert die Leute auch.

Der Dramatiker Martin Heckmanns, dessen Neufassung die Textgrund­lage für eure Inszenierung bildet, empfiehlt Goldoni als Gegenmittel zur „Depression als Krankheit unserer Zeit“. Wie geht es euch damit? Seid ihr bereit zu „liefern“ und dem geplagten Publikum etwas Leich­tigkeit zu schenken?
Nollau: Ich glaub, das ist die Ansage, oder?
Dathe: Auf jeden Fall. Ich finde aber, dass Theater immer gute Unter­haltung sein sollte. Es gibt ja auch genug langweiliges Theater – vier­stündige Abende, bei denen man am Ende nicht weiß, warum das überhaupt gespielt wird. Das ist schon mal der Unterschied: Bei uns sollen die Leute bestens unterhalten werden. Dafür gebe ich alles!

Regisseur Jan Jochymski setzt in seiner Inszenierung auf Elemente der Commedia dell’arte und des Kasperltheaters, das Tempo der Inszenierung wird dementsprechend hoch sein. Das ist ja auch eine sportive Herausforderung. Fühlt ihr euch gewappnet für diese Art von Blitztheater?
Alle: Das werden wir sehen!
Hallmann: Vielleicht müssen wir noch etwas trainieren? Wir haben schließlich lange über­haupt nicht gespielt.
Dathe: Ich hab schon viele Sommerthea­ter mitgemacht, und ich weiß, dass das die Herausforderung ist: jeden Tag noch besser zu spielen. Ich freue mich darauf. Und selbst wenn man mal einen schwachen Tag hat, ver­sucht man trotzdem, sein Bestes zu geben. Man muss da reinwachsen. Jetzt spüren wir das manchmal noch wie so einen Zementstein, aber es wird der Tag kommen, an dem wir da drüber stehen, und dann liefern wir das so ab. (alle lachen) In der Zeit, als wir nicht proben konnten, bin ich viel im Wald herumgerannt. Im Stück müssen wir alle ordentlich ren­nen und schnell sein. Jetzt freue ich mich, dass ich diese Zeit genutzt habe …
Nollau: … körperlich. Ich war jetzt auch joggen!
Dathe: Zum Glück gibt es in Sanssouci so viele Treppen. Unser Bühnen­bild besteht aus lauter Brücken, da geht es hoch und runter. Da müssen die Knie ordentlich mitmachen.

Truffaldino ist die witzigste und geistreichste Figur des Stückes. Ist sie für dich als geborenen Komödianten ein gefundenes Fressen?
Dathe: Ja – und ich möchte es so spielen, dass es auch glaubhaft ist. Dass es nicht nur Faxen sind. Das ist die Herausforderung, es so zu spielen, dass nicht alle nur sagen: jaja, lustig, lustig, hahaha. Es muss auch aus einem menschlichen Kosmos heraus gespielt werden, aus dem Gefühl der Drittklassigkeit. Man rennt immer hinterher und wird von allen jungen Kollegen ständig angeschrien und herumkomman­diert. Ich bin ja der Älteste auf der Bühne – und es macht mir natürlich auch Spaß, mich dem auszusetzen, dass ich so ein bisschen mensch­lich „misshandelt“ werde.
Hallmann: Gesunder Masochismus.
Dathe: Ja, aber therapeutisch. Ich spiele das ja nur, ich muss es nicht wirklich erleben. Obwohl, erlebt hab ich das auch schon …

Nadine und Jan, ihr verkörpert die beiden Herren, denen Truffaldino dient: Beatrice, verkleidet als ihr Bruder Federigo, und Florindo, ihr Ge­liebter. Wie seht ihr eure Figuren, und was reizt euch daran?
Hallmann: Ich bin noch auf der Suche, wer dieser Federigo ist. Der romantische Liebhaber? Vielleicht ja, weil ich eine Gitarre habe und so verliebt in Beatrice bin.
Nollau: Bei mir ist es etwas anders. Es ist meine zweite Hosenrolle. Und, ja, mal gucken, wo es mich so hintreibt und wie ich so als Mann bin. Wobei ich ja wahrscheinlich anders über Männer denke als Beatrice … Ich werde wohl versuchen, das zu überspitzen.

Das Stück strotzt nur so vor Klischees, und Truffaldinos Streiche sind mitunter überaus plump. Wie holt ihr dieses derbe „Lustspiel“ in unser aufgeklärtes Heute?
Dathe: Ja – das ist eben die Frage. Das ist ganz schön schwierig. Diese Figur hat ja wirklich existenzielle Hungergefühle – aber das kauft dir doch heute niemand mehr ab, wenn du das jetzt auf der Bühne so spielen würdest. Also, ist das nur so ein verfressenes Biest, oder was steckt dahinter? Und wie zieht man das ins Heute? Vielleicht sieht man durch die Schichten hindurch und erkennt, wie Menschen miteinander umgehen.
Nollau: Ich muss mich einfach nur entscheiden: Nehme ich die Zeit, als ganz klar war, wie Männer und Frauen sich verhalten, oder bewege ich mich im Jetzt? Aber das sind Entscheidungen, die sich erst durch’s Spielen ergeben.
Hallmann: So ist es ja oft, dass man es erst im Prozess herausfindet. Plötzlich kommt einem die Erkenntnis – nachts auf’m Klo.
Nollau: Wenn ich als Zuschauerin ins Sommertheater gehe, dann brauche ich diese Übertragung übrigens nicht. Dann sitze ich da mit meinem Weinchen – oder meiner Apfelschorle – und will etwas se­hen. Schwung! Tempo! Kraft! Und auch als Schauspielerin … habe ich manchmal einfach nur Bock zu spielen!

Woraus speist sich die Komik bei Goldoni?
Dathe: Aus der Überforderung im Moment. Gerade hat man noch ge­dacht, es läuft alles nach Plan, und plötzlich passiert irgendetwas. So wird man aus der Bahn geworfen. Das Publikum weiß immer schon im voraus Bescheid, nur die Figuren auf der Bühne sind ahnungslos.
Hallmann: Dadurch entstehen Missverständnisse und Verwechslungen, und irgendwie verwurschtelt sich dann alles.
Nollau: Und dabei geht es hochemotional zu!
Dathe: Die Figuren handeln nicht vernünftig, sondern sind blind vor Liebe oder blind vor Hass. Mit ihrem Verstand kommen sie nicht da­zwischen. So irren sie auf der Bühne herum, und das ist eigentlich das Lustige.
Hallmann: Lauter kopflose Gestalten, die ständig Bauchentscheidun­gen treffen.

Das große Chaos, das Truffaldino anrichtet, mündet schließlich in ein Happy End mit drei Hochzeiten. Truffaldino staubt dabei Smeraldina ab, die von Bettina Riebesel gespielt wird, deiner Partnerin. Wie fin­dest du das, Jörg?
Dathe: Smeraldina ist für ihn die Einzige in diesem ganzen Irrenhaus, mit der er Lust hat, ein Wort zu wechseln. Er spürt sofort: Wir beide passen menschlich total zusammen! So erklärt sich für mich diese Liebe. Nun sind wir auch noch privat ein Paar … Ich habe Betty damals aus diesem Grund lieben und schätzen gelernt. Ich sah sie in Leipzig auf der Bühne und dachte: Ja – dir glaube ich, was du tust. Das kommt von Herzen und nicht nur aus der Attitüde heraus. Deshalb ist es ganz schön, dass wir uns am Ende finden.
Hallmann: Na, da hast du ihn doch – deinen aktuellen Bezug! (alle lachen)

Interview: Björn Achenbach

(Aus: ZUGABE 02 - 2021)