Überlegungen zum Stück
Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? Oder gar eine Farce? Könnte man fragen beispielsweise angesichts jenes ominösen „Hut-Bürgers“, der im vergangenen August am Rande einer Pegida-Demonstration ein Kamerateam des ZDF anpöbelte. Und man könnte dazu tendieren, alle drei Fragen mit ja zu beantworten – insbesondere deshalb, weil sich herausstellte, dass der Pöbler von der traurigen wie bös-wütenden Gestalt Angestellter des LKA Sachsens war. Also kein abgehängter Sozialhilfeempfänger, sondern ein Mann aus der Mitte der Gesellschaft. Dass rechtspopulistische Positionen kein Randgruppenphänomen sind, sondern weit verbreitet in bürgerlichen Kreisen Anklang finden, bestätigte jüngst eine Studie der Universität Leipzig mit dem bezeichnenden Titel „Die enthemmte Mitte“.
Als Durchschnittsmensch versteht sich auch der „Mann“ aus Sibylle Bergs Stück „Viel gut essen“. Und genau das empfindet er zunehmend als Problem. In einer „Gesellschaft der Singularitäten“ (Andreas Reckwitz), in der es darauf ankommt, sich als möglichst außergewöhnliches Individuum, als originell gestylter Ego-Performer zu präsentieren, sieht er sich in seiner normalen Durchschnittlichkeit gedemütigt. Ein Verlierer auf dem Markt der Aufmerksamkeiten. Er fühlt sich in seiner Leistung nicht anerkannt und durch den Konkurrenzkampf am Arbeitsplatz von Absturzängsten geplagt. Die Auflösung der tradierten Rollenbilder von Mann und Frau sowie die Veränderungen in der Sozialstruktur seiner Wohngegend verunsichern ihn zusätzlich. Außerdem muss er eine ganze Reihe von Niederlagen und Katastrophen auf dem Feld privater Beziehungen verkraften. In gewisser Weise kann man also Verständnis haben für seine Frustration, für sein Gefühl, als Person entwertet und ohnmächtig den Entwicklungen der neuen Zeit ausgeliefert zu sein.
Jedoch: Sein Umgang mit diesen Umständen seines Lebens ist destruktiv und gefährlich. Anstatt sich den Gründen für sein Scheitern zu stellen, richtet er sich voller Selbstmitleid in der Rolle des Opfers ein. Er findet eine einfache Erklärung für seine Misere: Schuld sind immer die anderen. Verkrampft kultiviert er sein Selbstbild, stets korrekt gehandelt, hart gearbeitet und sich pflichtbewusst aufgeopfert zu haben. Er überzieht alle anderen mit seinen Projektionen und verschanzt sich beleidigt hinter den eigenen Lebenslügen. Es ist nicht verwunderlich, dass sich ein solchermaßen vereinsamtes, gekränktes und verzweifeltes Ego einer Gruppe anschließt, die sein Ich stabilisiert, indem sie ihm Anerkennung und das Gefühl von Zugehörigkeit vermittelt. Sie tut dies nicht zuletzt dadurch, dass sie andere gesellschaftliche Gruppen abwertet, um daraus Feindbilder zu fertigen.
Die Figur, die Sibylle Berg mit ihrem Stück geschaffen hat, ist bewusst nicht als realistische Person angelegt. Statt eine kleinteilig individualpsychologische Analyse eines bestimmten Mannes vorzunehmen, operiert das Stück auf forcierte Weise mit Stereotypen und Zuspitzungen. Auch für die Zuschauer, die sich auf der politisch „richtigen“ Seite wähnen, hält es Identifikationsangebote und Situationen mit einem gewissen Wiedererkennungswert bereit. Man kann Mitleid mit dem „armen Kerl“ empfinden, um sich im nächsten Moment erschrocken von ihm zu distanzieren. Oder man kann über ihn lachen, um sich dann zu fragen, worüber genau man da eigentlich gelacht hat. Indem das Stück geradezu halsbrecherisch zwischen Komik und Tragik, zwischen Sarkasmus und Melancholie balanciert, indem es einerseits Verständnis für den „Mann“ und andererseits Befremden über ihn hervorruft, vermag es manche Selbsttäuschung in unserem Bild vom Rechtspopulismus zu entlarven. Dadurch dass die eigentlich alltäglichen Erfahrungszusammenhänge des „Mannes“ einen Twist ins komisch Aberwitzige erhalten, werden sie zur Kenntlichkeit entstellt, werden die Mechanismen und Missstände freigelegt, die ausländerfeindliches, chauvinistisches und nationalistisches Denken befördern.
Eine zentrale Bedeutung kommt dabei der Sprache zu. Sibylle Berg lässt ihre Figur bewusst nicht in einem naturalistischen Ton reden. Vielmehr collagiert sie aus den Phrasen, Diskursen und Versatzstücken der Alltagskommunikation ein Sprachkonzert, das gebräuchliche Denk-und Redeweisen zur Pointe verarbeitet und ins Absurde schraubt, so dass eine groteske Dimension unserer Lebenszusammenhänge offen zu Tage tritt. Die Vielstimmigkeit dabei ist Programm. Und folglich können wir uns alle nicht so einfach von dem Mann abgrenzen. Denn in gewisser Weise sprechen wir in ihm mit.
Christopher Hanf
Als Durchschnittsmensch versteht sich auch der „Mann“ aus Sibylle Bergs Stück „Viel gut essen“. Und genau das empfindet er zunehmend als Problem. In einer „Gesellschaft der Singularitäten“ (Andreas Reckwitz), in der es darauf ankommt, sich als möglichst außergewöhnliches Individuum, als originell gestylter Ego-Performer zu präsentieren, sieht er sich in seiner normalen Durchschnittlichkeit gedemütigt. Ein Verlierer auf dem Markt der Aufmerksamkeiten. Er fühlt sich in seiner Leistung nicht anerkannt und durch den Konkurrenzkampf am Arbeitsplatz von Absturzängsten geplagt. Die Auflösung der tradierten Rollenbilder von Mann und Frau sowie die Veränderungen in der Sozialstruktur seiner Wohngegend verunsichern ihn zusätzlich. Außerdem muss er eine ganze Reihe von Niederlagen und Katastrophen auf dem Feld privater Beziehungen verkraften. In gewisser Weise kann man also Verständnis haben für seine Frustration, für sein Gefühl, als Person entwertet und ohnmächtig den Entwicklungen der neuen Zeit ausgeliefert zu sein.
Jedoch: Sein Umgang mit diesen Umständen seines Lebens ist destruktiv und gefährlich. Anstatt sich den Gründen für sein Scheitern zu stellen, richtet er sich voller Selbstmitleid in der Rolle des Opfers ein. Er findet eine einfache Erklärung für seine Misere: Schuld sind immer die anderen. Verkrampft kultiviert er sein Selbstbild, stets korrekt gehandelt, hart gearbeitet und sich pflichtbewusst aufgeopfert zu haben. Er überzieht alle anderen mit seinen Projektionen und verschanzt sich beleidigt hinter den eigenen Lebenslügen. Es ist nicht verwunderlich, dass sich ein solchermaßen vereinsamtes, gekränktes und verzweifeltes Ego einer Gruppe anschließt, die sein Ich stabilisiert, indem sie ihm Anerkennung und das Gefühl von Zugehörigkeit vermittelt. Sie tut dies nicht zuletzt dadurch, dass sie andere gesellschaftliche Gruppen abwertet, um daraus Feindbilder zu fertigen.
Die Figur, die Sibylle Berg mit ihrem Stück geschaffen hat, ist bewusst nicht als realistische Person angelegt. Statt eine kleinteilig individualpsychologische Analyse eines bestimmten Mannes vorzunehmen, operiert das Stück auf forcierte Weise mit Stereotypen und Zuspitzungen. Auch für die Zuschauer, die sich auf der politisch „richtigen“ Seite wähnen, hält es Identifikationsangebote und Situationen mit einem gewissen Wiedererkennungswert bereit. Man kann Mitleid mit dem „armen Kerl“ empfinden, um sich im nächsten Moment erschrocken von ihm zu distanzieren. Oder man kann über ihn lachen, um sich dann zu fragen, worüber genau man da eigentlich gelacht hat. Indem das Stück geradezu halsbrecherisch zwischen Komik und Tragik, zwischen Sarkasmus und Melancholie balanciert, indem es einerseits Verständnis für den „Mann“ und andererseits Befremden über ihn hervorruft, vermag es manche Selbsttäuschung in unserem Bild vom Rechtspopulismus zu entlarven. Dadurch dass die eigentlich alltäglichen Erfahrungszusammenhänge des „Mannes“ einen Twist ins komisch Aberwitzige erhalten, werden sie zur Kenntlichkeit entstellt, werden die Mechanismen und Missstände freigelegt, die ausländerfeindliches, chauvinistisches und nationalistisches Denken befördern.
Eine zentrale Bedeutung kommt dabei der Sprache zu. Sibylle Berg lässt ihre Figur bewusst nicht in einem naturalistischen Ton reden. Vielmehr collagiert sie aus den Phrasen, Diskursen und Versatzstücken der Alltagskommunikation ein Sprachkonzert, das gebräuchliche Denk-und Redeweisen zur Pointe verarbeitet und ins Absurde schraubt, so dass eine groteske Dimension unserer Lebenszusammenhänge offen zu Tage tritt. Die Vielstimmigkeit dabei ist Programm. Und folglich können wir uns alle nicht so einfach von dem Mann abgrenzen. Denn in gewisser Weise sprechen wir in ihm mit.
Christopher Hanf