Brief von Petra Bläss, Mitglied des Förderkreises des Hans Otto Theaters Mai 2020
Theater muss sein – auch und gerade im „Corozän“
„Das achte Leben (Für Brilka)“ am 5. Juni 2020 online streamen!!
Seit Bettina Jahnke mit ihrem Team Hans Otto in unserer Stadt so lebendig werden lässt, ist das HOT zu meinem zweiten Zuhause geworden. Der anregende Spielplan und ein starkes Ensemble haben es geschafft, dass ich keine Premiere, keine offene Probe, keine „Frühstücke“ mehr verpassen möchte. Ich gebe offen zu, dass mich von allen Corona-bedingten notwendigen Maßnahmen die verschlossenen Theatertüren immer noch am traurigsten machen. Es fehlt einfach ein wichtiges und liebgewordenes Standbein, ein Stück Heimat , der unmittelbare Austausch mit TheatermacherInnen und Publikum. Noch immer fühlt sich der Blick auf den Kalender ohne mindestens ein Theatererlebnis pro Woche seltsam an. Traurige Leere, wo sonst der HOT-Spielplan im Flur hing...
Wie ein Junkie habe ich mir im World Wide Web die digitalen Trostpflaster reingezogen, unter denen – wie Joachim Bergers „Reinicke Fuchs“ oder Kristin Muthwills „Briefe einer unbekannten Frau“ - das eine oder andere Meisterwerk war, dem man später ein größeres Live-Publikum wünscht. Wie hab‘ ich bei Ulrike Beerbaums und Philipp Mauritz` Valentin-Dialogen selbige genossen, weil da so ein „Hauch“ von „richtigem“ Theater rüberkam... Die Idee, an den unterschiedlichsten Theaterorten zu lesen, war einfach klasse.
Schön, dass wir jetzt –„Entweder-Oder“- auf dem Bildschirm unser Schauspielensemble noch besser kennenlernen konnten und dass es seit kurzem ein „Kleines philosophisches Küchentheater“ mit Arne Lenk und Rene Schwittay gibt. Echt witzig, was Alina Wolf, Franziska Melzer, Guido Lambrecht und das Duo Jon-Kaare Koppe/Rene Schwittay mit Tucholskys Grippe-Text, den Playmobil-„Nashörnern“, und ihren Lesarten der Abstandsregelungen auf die Beine gestellt haben! Und Nadine Nollaus Relax- Anweisungen kann man sich dank ihrer Traum-Stimme auch in einer Endlosschleife anhören...
Das Streaming der so wichtigen, weil akute Probleme aufnehmenden Inszenierungen „Nashörner“ und „Mitwisser“ war natürlich ein Highlight. Gratulation dem „Mitwisser“-Team um Marc Becker zur gelungenen Online-Premiere! Ich wünsche Euch, dass der Spaß, den Ihr bei diesem ja auch sehr nachdenklich machenden hochaktuellen Zeitstück habt, bald auf ein Live-Publikum überspringen kann. Und Euer „Protestsong“ zu Beginn hat echt das Zeug zum Hit. Theater im Wohnzimmer fetzt schon mal - aber natürlich kann das alles nicht das Theater-Life-Erlebnis ersetzen...
Meine Enttäuschung, die so lebendige „Kabale und Liebe“- und die wirklich unter die Haut gehende „Jeder stirbt für sich allein“-Inszenierung nicht noch ein letztes Mal sehen und nicht gleich noch einmal ins so tolle „Cabaret“ oder die einen so direkt und tief ansprechende „Nationalstraße“ gehen zu können, ist immer noch groß. Letzteres Stück wäre wohl das einzige, was Dank der großartigen Monologe von Rene Schwittay, Paul Willms, Katja Zinsmeister und Joachim Berger unverändert unter dem Corona-Regel-Diktat gespielt werden dürfte...
Eins aber schmerzt mich nach der Ankündigung des einmaligen Streaming-Angebots meisten: dass ich d a s Bühnenerlebnis dieser Spielzeit nicht mehr live im Zuschauerraum verfolgen werden kann. Selbiges hat mich so gepackt, dass ich fast keine Vorstellung auslassen konnte und inzwischen schon neunmal wie gebannt und zutiefst berührt im Zuschauerraum saß – Konstanze Lauterbachs geniale „Das achte Leben (Für Brilka)“-Inszenierung nach der Romanvorlage von Nino Haratischwilli mit einer einzigartigen und tollen Ensembleleistung. Die im HOT auf die Bühne gebrachte Geschichte der Familie des georgischen Schokoladenfabrikanten Jaschi über sechs Generationen vor dem Hintergrund des blutigen 20.Jahrhunderts ist ein Theaterereignis!
Natürlich frage ich mich selbst immer wieder, was es ist, dass mich dieses reichlich vierstündige Meisterwerk so fesselt und immer wieder auch zu Tränen rührt. Wenn ich könnte, würde ich erstmal zu einer symbolischen Geste greifen, die hier meines Erachtens angemessen wäre – ein großer Kniefall vor Konstanze Lauterbach und dem gesamten Team für dieses irgendwie magische In-Szene-Setzen eines Jahrhundert-Romans.
Meine Neugier auf den Umgang mit diesem Stoff war übrigens so groß, dass ich mir noch kurz vorm Corona-Theater-LockDown die gefeierte Hamburger „Brilka“-Inszenierung von Jette Steckel im Thalia- Theater angesehen habe. Sie hat mich mit ihren Verfremdungen, allerdings auch Längen durchaus auch immer wieder mal gepackt, aber längst nicht so tief und vor allem lückenlos berührt wie die Potsdamer Les- oder besser Spielart.
Sehr froh bin ich übrigens, dass ich zu jeder Vorstellung zumindest ein Grüppchen (nach der Vorstellung übrigens immer sehr begeisterter) FreundInnen und Verwandter mit ins HOT bringen konnte. Die Begeisterung und das Erstaunen, was für ein tolles Theater hier in Potsdam gemacht wird, war immer groß.„So muss Theater sein!“ meinte eine Freundin.
Ein tolles, bei den anschließenden ZuschauerInnengespächen zu bebachtendes Phänomen war, dass KennerInnen und NichtkennerInnen der Romanvorlage gleichermaßen von der Inszenierung beeindruckt sind. Ich habe den Wälzer übrigens auch erst nach der Premiere verschlungen.
Wo nun anfangen mit den Argumenten dafür, dass es diese Inszenierung so verdient hätte, mehr Aufmerksamkeit (z.B. eine Nominierung zum Berliner Theatertreffen...) zu bekommen bzw. dafür, die einmalige 48-Stunden-Chance zu nutzen, sich wenigstens die Videoaufzeichnung dieses Meisterwerks im Netz anzuschauen?
Fangen wir mit der Lauterbachschen Regie-Meisterleistung an. Um im von ihr selbst gebrauchten handwerklichen Jargon zu bleiben: Sie hat es mit ihrer Theaterfassung nicht nur geschafft, „die Fülle der Geschichte rigoros zu reduzieren, sie zu skelettieren und dabei trotzdem das Fleisch der Figuren nicht zu sehr zu beschädigen“ - besser als sie selbst kann man das einfach nicht sagen! Ihre Regie mit „Feinschliff“ hat ein Wunderwerk vollbracht, das wie aus einem Guss daherkommt, einen von der ersten bis zur letzten Minute in Bann hält und alle AkteurInnen auf der Bühne zu Höchstform auflaufen lässt. Der Vorhang geht auf und man ist sofort drin in dieser Zeitreise durch ein ganzes Jahrhundert und gefangen vom Schicksal der Familie Jaschi.
Apropos Zeit: Phänomenal, in welchem Tempo hier – auch und gerade sehr blutige – Geschichte erzählt wird, wie Bilder gefunden wurden, die für historische Ereignisse stehen. Dass man trotz dieses „Schlag auf Schlag“ nie den Faden verliert, dass jede Figur so ein starkes Profil bekommt, das ist einfach meisterliches Theaterhandwerk!
Die reiche, artifizielle Körpersprache gilt als wichtigstes Merkmal von Konstanze Lauterbachs Regiestil. Und wie wird hier aus dem Vollen geschöpft – es wurden sozusagen Figuren von Meisterhand erschaffen und geführt. Da reiht sich ein kleines künstlerisches Highlight nach dem anderen. Nein, man kann hier wirklich nicht sagen: Das ist der Abend der ... oder des ... . Es ist der Abend aller, die ihr Bestes geben – und das gleich in zwei oder gar drei Rollen:
Wie ein Junkie habe ich mir im World Wide Web die digitalen Trostpflaster reingezogen, unter denen – wie Joachim Bergers „Reinicke Fuchs“ oder Kristin Muthwills „Briefe einer unbekannten Frau“ - das eine oder andere Meisterwerk war, dem man später ein größeres Live-Publikum wünscht. Wie hab‘ ich bei Ulrike Beerbaums und Philipp Mauritz` Valentin-Dialogen selbige genossen, weil da so ein „Hauch“ von „richtigem“ Theater rüberkam... Die Idee, an den unterschiedlichsten Theaterorten zu lesen, war einfach klasse.
Schön, dass wir jetzt –„Entweder-Oder“- auf dem Bildschirm unser Schauspielensemble noch besser kennenlernen konnten und dass es seit kurzem ein „Kleines philosophisches Küchentheater“ mit Arne Lenk und Rene Schwittay gibt. Echt witzig, was Alina Wolf, Franziska Melzer, Guido Lambrecht und das Duo Jon-Kaare Koppe/Rene Schwittay mit Tucholskys Grippe-Text, den Playmobil-„Nashörnern“, und ihren Lesarten der Abstandsregelungen auf die Beine gestellt haben! Und Nadine Nollaus Relax- Anweisungen kann man sich dank ihrer Traum-Stimme auch in einer Endlosschleife anhören...
Das Streaming der so wichtigen, weil akute Probleme aufnehmenden Inszenierungen „Nashörner“ und „Mitwisser“ war natürlich ein Highlight. Gratulation dem „Mitwisser“-Team um Marc Becker zur gelungenen Online-Premiere! Ich wünsche Euch, dass der Spaß, den Ihr bei diesem ja auch sehr nachdenklich machenden hochaktuellen Zeitstück habt, bald auf ein Live-Publikum überspringen kann. Und Euer „Protestsong“ zu Beginn hat echt das Zeug zum Hit. Theater im Wohnzimmer fetzt schon mal - aber natürlich kann das alles nicht das Theater-Life-Erlebnis ersetzen...
Meine Enttäuschung, die so lebendige „Kabale und Liebe“- und die wirklich unter die Haut gehende „Jeder stirbt für sich allein“-Inszenierung nicht noch ein letztes Mal sehen und nicht gleich noch einmal ins so tolle „Cabaret“ oder die einen so direkt und tief ansprechende „Nationalstraße“ gehen zu können, ist immer noch groß. Letzteres Stück wäre wohl das einzige, was Dank der großartigen Monologe von Rene Schwittay, Paul Willms, Katja Zinsmeister und Joachim Berger unverändert unter dem Corona-Regel-Diktat gespielt werden dürfte...
Eins aber schmerzt mich nach der Ankündigung des einmaligen Streaming-Angebots meisten: dass ich d a s Bühnenerlebnis dieser Spielzeit nicht mehr live im Zuschauerraum verfolgen werden kann. Selbiges hat mich so gepackt, dass ich fast keine Vorstellung auslassen konnte und inzwischen schon neunmal wie gebannt und zutiefst berührt im Zuschauerraum saß – Konstanze Lauterbachs geniale „Das achte Leben (Für Brilka)“-Inszenierung nach der Romanvorlage von Nino Haratischwilli mit einer einzigartigen und tollen Ensembleleistung. Die im HOT auf die Bühne gebrachte Geschichte der Familie des georgischen Schokoladenfabrikanten Jaschi über sechs Generationen vor dem Hintergrund des blutigen 20.Jahrhunderts ist ein Theaterereignis!
Natürlich frage ich mich selbst immer wieder, was es ist, dass mich dieses reichlich vierstündige Meisterwerk so fesselt und immer wieder auch zu Tränen rührt. Wenn ich könnte, würde ich erstmal zu einer symbolischen Geste greifen, die hier meines Erachtens angemessen wäre – ein großer Kniefall vor Konstanze Lauterbach und dem gesamten Team für dieses irgendwie magische In-Szene-Setzen eines Jahrhundert-Romans.
Meine Neugier auf den Umgang mit diesem Stoff war übrigens so groß, dass ich mir noch kurz vorm Corona-Theater-LockDown die gefeierte Hamburger „Brilka“-Inszenierung von Jette Steckel im Thalia- Theater angesehen habe. Sie hat mich mit ihren Verfremdungen, allerdings auch Längen durchaus auch immer wieder mal gepackt, aber längst nicht so tief und vor allem lückenlos berührt wie die Potsdamer Les- oder besser Spielart.
Sehr froh bin ich übrigens, dass ich zu jeder Vorstellung zumindest ein Grüppchen (nach der Vorstellung übrigens immer sehr begeisterter) FreundInnen und Verwandter mit ins HOT bringen konnte. Die Begeisterung und das Erstaunen, was für ein tolles Theater hier in Potsdam gemacht wird, war immer groß.„So muss Theater sein!“ meinte eine Freundin.
Ein tolles, bei den anschließenden ZuschauerInnengespächen zu bebachtendes Phänomen war, dass KennerInnen und NichtkennerInnen der Romanvorlage gleichermaßen von der Inszenierung beeindruckt sind. Ich habe den Wälzer übrigens auch erst nach der Premiere verschlungen.
Wo nun anfangen mit den Argumenten dafür, dass es diese Inszenierung so verdient hätte, mehr Aufmerksamkeit (z.B. eine Nominierung zum Berliner Theatertreffen...) zu bekommen bzw. dafür, die einmalige 48-Stunden-Chance zu nutzen, sich wenigstens die Videoaufzeichnung dieses Meisterwerks im Netz anzuschauen?
Fangen wir mit der Lauterbachschen Regie-Meisterleistung an. Um im von ihr selbst gebrauchten handwerklichen Jargon zu bleiben: Sie hat es mit ihrer Theaterfassung nicht nur geschafft, „die Fülle der Geschichte rigoros zu reduzieren, sie zu skelettieren und dabei trotzdem das Fleisch der Figuren nicht zu sehr zu beschädigen“ - besser als sie selbst kann man das einfach nicht sagen! Ihre Regie mit „Feinschliff“ hat ein Wunderwerk vollbracht, das wie aus einem Guss daherkommt, einen von der ersten bis zur letzten Minute in Bann hält und alle AkteurInnen auf der Bühne zu Höchstform auflaufen lässt. Der Vorhang geht auf und man ist sofort drin in dieser Zeitreise durch ein ganzes Jahrhundert und gefangen vom Schicksal der Familie Jaschi.
Apropos Zeit: Phänomenal, in welchem Tempo hier – auch und gerade sehr blutige – Geschichte erzählt wird, wie Bilder gefunden wurden, die für historische Ereignisse stehen. Dass man trotz dieses „Schlag auf Schlag“ nie den Faden verliert, dass jede Figur so ein starkes Profil bekommt, das ist einfach meisterliches Theaterhandwerk!
Die reiche, artifizielle Körpersprache gilt als wichtigstes Merkmal von Konstanze Lauterbachs Regiestil. Und wie wird hier aus dem Vollen geschöpft – es wurden sozusagen Figuren von Meisterhand erschaffen und geführt. Da reiht sich ein kleines künstlerisches Highlight nach dem anderen. Nein, man kann hier wirklich nicht sagen: Das ist der Abend der ... oder des ... . Es ist der Abend aller, die ihr Bestes geben – und das gleich in zwei oder gar drei Rollen:
- Bestechend, wie Alina Wolff als Niza uns souverän und mitfühlend durch die ganze Geschichte führt und es schafft, als Erzählerin und Darstellerin dieses riesige Puzzle irgendwie zusammenzuhalten - und dann auch noch in der Rolle der knallharten Alla brilliert.
- Unvergesslich wie Franziska Melzer als junge Stasia mit ihrem Tanz so viel auszudrücken vermag und dies später als Kitty mit ihrem Gesang wieder schafft. Hier zeigt eine Allround- Künstlerin alle Register ihres Könnens.
- Atemberaubend, wie Rita Feldmeier sowohl als Thekla als auch als Ida in relativ kurzen Szenen einer Figur so viel Leben gibt. Und die alte Stasia ist einfach eine richtige Paraderolle für unser HOT-Urgestein, denn bei ihr laufen die vielen Fäden der Geschichte immer wieder zusammen.
- Chapeau, wie Kristin Muthwill quasi parallel zwei „Hammer“-Rollen meistert und in atemberaubendem Tempo von einer zutiefst beeindruckenden Darstellung der Christine in der einen und zu der von Fred in der anderen Welt wechseln kann.
- Großartig, wie Andrea Casabianchi die Sopio in ihrer Entschlossenheit und Verletzlichkeit verkörpert und als Eleni Trotz und Aufmüpfigkeit so herrlich rüberbringen kann.
- Wunderbar, wie Ulrike Beerbaum sowohl als Amy als auch als Nana immer den richtigen Ton trifft und den ihr eigenen Witz so schön dezent rüberbringt, aber auch in der Rolle der blinden Pianistin in Erinnerung bleibt.
- Exzellent, wie es Tina Schorcht schafft, als junge Christine, junge Kitty und schließlich als Brilka gleich drei unvergessliche Frauenfiguren zu verkörpern. Auch ihr Gesang geht unter die Haut.
Ja, es ist vor allem ein Theaterabend der Frauen.
Aber die Männer auf der Bühne brillieren genauso:
- Hochkarätig, wie Guido Lambrecht den Kostja von Geburt bis Lebensende in seiner Ambivalenz verkörpert und einen auch als „Kleiner großer Mann“ fesselt.
- Einfach klasse, wie Arne Lenk –gerade noch als Ramas auf der Bühne- als Giorgi den Widerspruch zwischen Gefühl und (Partei-)Disziplin auf die Bühne bringt.
- Vorzüglich, wie Henning Strübbe die Entwicklung Andros darstellt und als sein Sohn Miqa genauso beeindruckt.
- Unvergesslich, wie Andreas Spaniol als Schokoladenfabrikant in sein „Na prima!“ einfach alles reinstecken und damit zeigen kann, was gesellschaftlicher Umbruch für den Einzelnen bedeutet.
- Hervorragend, wie Paul Sies als Simon Jaschi zum einen die Entschlossenheit, immer wieder in den Krieg zu ziehen, zum anderen aber auch die Zerstörung der Seele durch die erlebte Grausamkeit zeigen kann.
Und wenn ich jetzt schon mal bei Aufzählungen bin, dann folgt gleich noch eine wunderbarer Regieeinfälle:
- Genial gelöst und witzig, wie Guido Lambrecht als Kostja, Tina Schorcht als Kitty und Andrea Casabianchi als Eleni das Licht der Welt erblicken.
- Einfach toll, wie die feiernde Gesellschaft im Hause Ramas im Hintergrund tuschelt und erstarrt.
- Berührend, wie Rita Feldmeier und Guido Lambrecht das Hin und Her der Gefühle in der tiefen Liebesbeziehung zwischen Ida und Kostja verkörpern.
- Eindrucksvoll, wie Tina Schorcht als Kitty und Henning Strübbe als Andro erst das unbeschwerte kindliche, dann das verliebte Miteinander und schließlich nach dem Zerbrochensein das Nicht-mehr-zueinander-Finden-Können eines Paares zeigen können.
- Grandios praktiziert der Darstellerinnenwechsel bei Stasia, Kitty und Christine– mit den Dream-Teams Melzer / Feldmeier , Schorcht / Melzer sowie Schorcht / Muthwill.
- Fein- und tiefsinnig, wie Andreas Spaniol als alter Fabrikant und später Guido Lambrecht als gealterter Kostja mit der roten Fahne kämpfen.
- Treffend und einprägsam die Bilder, die symbolisch für Kriegsbeginn und Kriegsende, aber auch für unmenschliche Folter und Mord gefunden wurden.
- Erschütternd, wie mit wenigen Mitteln Wirkungsweisen und Auswirkungen des Stalinismus veranschaulicht werden. Wie Franziska Melzers Kitty auf Stalins Tod reagiert, schafft einen echten Gänsehautmoment.
- Symbolträchtig das sich wie ein roter Faden durch das ganze Stück ziehende Überreichen der legendären heißen schwarzen Schokolade, deren Fluch erst Brilka zu bezwingen weiß.
- Überwältigend, dass und wie – vor allem von Stasia - die Erinnerung an die Verstorbenen lebendig gehalten wird. Hier spielt die tolle Bühnengestaltung eine zentrale Rolle.
Das von Ariane Salzbrunn geschaffene geniales Bühnenbild, in dem man bei jedem Vorstellungsbesuch noch Neues entdecken kann, schafft es, einen adäquaten Rahmen für den Gesamtkosmos dieser aus so vielen Zweigen bestehenden Geschichte zu bieten. Und was die von der „Chefin“ selbst zu verantwortenden Kostüme angeht: die sind und sitzen perfekt.
Sensationell und einprägsam ist auch die von Achim Gieseler getroffene Musikauswahl. Ob Tschaikowsky, Schostakowitsch, Bellini, Puccini oder Velvet Underground – jeder Takt und jeder Ton scheint perfekt gesetzt. Noch nie hat Theatermusik s o starke Gefühle bei mir ausgelöst...
Eine große Verbeugung auch vor den StatistInnen, die sich so wunderbar ins Ensemble einfügen und vor allem auch vor sämtlichen guten Geistern hinter und über der Bühne. Ob Bühnentechnik, Beleuchtung, Inspizienz, Maske, Garderobe, Soufflage – der „Brilka“-Marathon erfordert Höchstleistungen!
Stichwort „Gute Geister“: Dramaturgin Bettina Jantzen, die entscheidend an diesem Meisterwerk mitgearbeitet hat, führte selbst zu später Stunde gutbesuchte anregende Zuschauerdiskussionen. Unvergesslich, wie Regieassistentin Laura Wilmeroth es wunderbar meisterte, einmal ganz kurzfristig selbst als Daria einzuspringen. Und es war mit Sabine Scholze eine gestandene Schauspielerin, die zu aller Beruhigung in der ersten Reihe mit dem dicken Textbuch saß.
Noch mag ich mir nicht vorstellen, dass es keine Gelegenheit mehr geben soll, „Bravo!“ zu brüllen, wenn der Vorhang fällt nach diesem einzigartigen Theaterspektakel. Was bleibt, ist die Erinnerung an ein Bühnen-Gesamtkunstwerk, gespeist aus einer Synthese großartiger Einzelleistungen.
Liebes Brilka-Team, Ihr habt Maßstäbe gesetzt – und jetzt erst einmal ganz viele begeisterte ZuschauerInnen am 5./6.Juni am heimischen PC verdient. Packen wir die Chance, uns exzellente Theaterkunst ins Wohnzimmer zu holen, beim Schopfe. Dank allen, die dieses tolle Trostpflaster für Theaterliebhaber möglich machen!