Quo vadis, Europa?
Der deutsche Sänger Felix Meyer hat in diesem Herbst unter dem Titel „Europa“ einen melancholischen Beitrag zur ewigen Europa-Debatte geleistet. Darin spricht er Europa an, wie sie in der griechischen Mythologie ursprünglich gedacht war: als junges Mädchen. Wie würde besagte Europa das Verhalten der Europäer*innen über die letzten Jahrtausende hinweg empfinden, all das Blut und die Gewalt – den ganzen Wahnsinn eben? „Sag mir, wie fühlt sich das an?“
Eine Frage, die wahrscheinlich auch Konstantin Küspert beim Verfassen des Stücks „europa verteidigen“ umgetrieben hat. Er wagt einen Ritt durch die europäische Geschichte, der daran zweifeln lässt, dass unsere Namensgeberin stolz auf ihre Nachkommen wäre. Europa als Hort des Friedens und Wiege der Zivilisation? Wohl eher nicht! Die Kunst des Autors besteht darin, nicht den moralischen Zeigefinger in die Höhe zu strecken, sondern einen gedanklichen Raum zu öffnen. Dies gelingt ihm vor allem durch seinen zwar ehrlichen, aber dennoch ironischen Blick auf historische Ereignisse. So fühlt man sich nie belehrt, sondern eingeladen, genau hinzuschauen und sich selbst eine Meinung über Europa und die EU zu bilden.
In der Gegenwart angekommen, schottet sich Europa zunehmend ab. Die Grenzschutzagentur Frontex soll bis 2020 personell stark aufgestockt werden und mehr Kompetenzen bekommen. Der Traum der Grenzenlosigkeit, der mehr als 500 Millionen Menschen in der EU vereint, endet für alle anderen mit den neuen Barrieren nach außen.
Auch innerlich zieht Europa neue Grenzen, die die europäische Politik in harte Kontroversen stürzt. Auf der einen Seite das unerschütterliche „Wir schaffen das“ der Kanzlerin und auf der anderen Seite populistische Aussagen über Flüchtlingswellen und ihre Auswirkungen im Einwanderungsland. Sie zielen darauf ab, irrationale Ängste zu schüren und sorgen dafür, dass sich die besorgten Bürger*innen den rechten Parteien in die Arme werfen.
Das Bild der Staatengemeinschaft, die für Frieden, Freiheit und Menschenrechte steht, gerät ins Wanken. Torpediert wird der Zusammenschluss und seine Politik ausgerechnet von der Generation, die von dem Privileg profitierte und noch profitiert, seit 70 Jahren keinen Krieg mehr erleben zu müssen. Es entsteht zunehmend eine Festung Europa, die sich vom außereuropäischen Elend abgrenzt und zulässt, dass ihre vermeintlichen Grundwerte an der Außengrenze enden oder mit den Schlauchbooten im Meer untergehen.
Dabei gab es immer wieder Einwanderungswellen in Europa und immer gelang die Integration. Man denke nur an die deutschen Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg oder die Gastarbeiter aus den südeuropäischen Ländern und Nordafrika sowie der Türkei. Nach dem Fall der Mauer kamen viele Menschen aus den Staaten des Ostblocks; tausende Flüchtlinge rief der Balkankrieg hervor. Immer gab es „die Fremden“ und immer waren ihre Einwanderungen von Seiten des Einwanderungslandes von Ängsten begleitet. Doch immer gingen Land und Menschen gestärkt daraus hervor. Warum sollte es jetzt anders sein? Muss es jetzt anders sein? Wann haben wir aufgehört, die Menschen mit Fluchthintergrund als Opfer zu sehen? Niemand, der eine Wahl hat, flieht aus seinem Heimatland. Geht es nicht vorwiegend darum, mit Empathie und Respekt aufeinander zu zugehen, um gemeinschaftlich miteinander in Frieden leben zu können – ohne gegenseitigen Neid, ohne Hass und Angst? Es muss ja nicht perfekt, nicht konfliktfrei sein, nur menschenwürdig.
Wohin Europa und die EU steuern, bleibt ungewiss. Zumindest solange wir uns nicht daran erinnern, dass wir demselben Raum angehören und eine gemeinsame Identität besitzen und dieses Potenzial nutzen. Sollte die EU ganz umsonst 2012 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden sein? Ich für meinen Teil möchte zumindest nicht einem Europa angehören, das lieber heute als morgen zu offenem Nationalismus und Rassismus zurückkehrt. Denn wohin das führt, hat uns die Geschichte schmerzlich gelehrt.
Alexandra Engelmann
Eine Frage, die wahrscheinlich auch Konstantin Küspert beim Verfassen des Stücks „europa verteidigen“ umgetrieben hat. Er wagt einen Ritt durch die europäische Geschichte, der daran zweifeln lässt, dass unsere Namensgeberin stolz auf ihre Nachkommen wäre. Europa als Hort des Friedens und Wiege der Zivilisation? Wohl eher nicht! Die Kunst des Autors besteht darin, nicht den moralischen Zeigefinger in die Höhe zu strecken, sondern einen gedanklichen Raum zu öffnen. Dies gelingt ihm vor allem durch seinen zwar ehrlichen, aber dennoch ironischen Blick auf historische Ereignisse. So fühlt man sich nie belehrt, sondern eingeladen, genau hinzuschauen und sich selbst eine Meinung über Europa und die EU zu bilden.
In der Gegenwart angekommen, schottet sich Europa zunehmend ab. Die Grenzschutzagentur Frontex soll bis 2020 personell stark aufgestockt werden und mehr Kompetenzen bekommen. Der Traum der Grenzenlosigkeit, der mehr als 500 Millionen Menschen in der EU vereint, endet für alle anderen mit den neuen Barrieren nach außen.
Auch innerlich zieht Europa neue Grenzen, die die europäische Politik in harte Kontroversen stürzt. Auf der einen Seite das unerschütterliche „Wir schaffen das“ der Kanzlerin und auf der anderen Seite populistische Aussagen über Flüchtlingswellen und ihre Auswirkungen im Einwanderungsland. Sie zielen darauf ab, irrationale Ängste zu schüren und sorgen dafür, dass sich die besorgten Bürger*innen den rechten Parteien in die Arme werfen.
Das Bild der Staatengemeinschaft, die für Frieden, Freiheit und Menschenrechte steht, gerät ins Wanken. Torpediert wird der Zusammenschluss und seine Politik ausgerechnet von der Generation, die von dem Privileg profitierte und noch profitiert, seit 70 Jahren keinen Krieg mehr erleben zu müssen. Es entsteht zunehmend eine Festung Europa, die sich vom außereuropäischen Elend abgrenzt und zulässt, dass ihre vermeintlichen Grundwerte an der Außengrenze enden oder mit den Schlauchbooten im Meer untergehen.
Dabei gab es immer wieder Einwanderungswellen in Europa und immer gelang die Integration. Man denke nur an die deutschen Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg oder die Gastarbeiter aus den südeuropäischen Ländern und Nordafrika sowie der Türkei. Nach dem Fall der Mauer kamen viele Menschen aus den Staaten des Ostblocks; tausende Flüchtlinge rief der Balkankrieg hervor. Immer gab es „die Fremden“ und immer waren ihre Einwanderungen von Seiten des Einwanderungslandes von Ängsten begleitet. Doch immer gingen Land und Menschen gestärkt daraus hervor. Warum sollte es jetzt anders sein? Muss es jetzt anders sein? Wann haben wir aufgehört, die Menschen mit Fluchthintergrund als Opfer zu sehen? Niemand, der eine Wahl hat, flieht aus seinem Heimatland. Geht es nicht vorwiegend darum, mit Empathie und Respekt aufeinander zu zugehen, um gemeinschaftlich miteinander in Frieden leben zu können – ohne gegenseitigen Neid, ohne Hass und Angst? Es muss ja nicht perfekt, nicht konfliktfrei sein, nur menschenwürdig.
Wohin Europa und die EU steuern, bleibt ungewiss. Zumindest solange wir uns nicht daran erinnern, dass wir demselben Raum angehören und eine gemeinsame Identität besitzen und dieses Potenzial nutzen. Sollte die EU ganz umsonst 2012 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden sein? Ich für meinen Teil möchte zumindest nicht einem Europa angehören, das lieber heute als morgen zu offenem Nationalismus und Rassismus zurückkehrt. Denn wohin das führt, hat uns die Geschichte schmerzlich gelehrt.
Alexandra Engelmann
Drei Fragen an Konstantin Küspert
Gab es für Sie einen konkreten Anlass, das Stück zu schreiben?
Konstantin Küspert: ja, einen werkauftrag des eta hoffmann theaters bamberg. :) aber tatsächlich hat mich die zunehmende demontage von projekten, die frieden und solidarität vertreten, schon lang vor dem stück umgetrieben.
Ihr Theaterstück ist gleichermaßen provozierend wie unterhaltsam. Lässt sich die politische Lage Europas nur noch mit Humor ertragen?
ich glaube, alles lässt sich wesentlich besser mit humor ertragen. und vor allem empfinde
ich selbstironie und humor als eine wesentliche eigenschaft des humanismus, und das müssen wir bewahren, wo wir können. die politische lage europas ist nicht düster, aber wir müssen schon aufpassen, dass sie nicht weiter abrutscht – weder in richtung nationalismus noch in richtung europäischer exzeptionalismus, festung europa.
Der letzte Monolog ist Konstantin zugeordnet. Ist das Ihr persönlicher Appell an alle, Haltung zu zeigen?
ja. es ist ein sehr schmaler grat, wenn man als autor die vierte wand einreißt und selbst direkt was sagt. die unmittelbare reaktion bei teilendes publikums ist abwehr, weil man als theaterbesucher so stark ironisierungen und überformungen gewohnt ist zu dechiffrieren; ein derartig überschriebener monolog erzeugt oft widerstand durch den als didaktisch verstandenen impetus. gleichzeitig macht man sich natürlich als person angreifbar, auch mit dem vorwurf der eitelkeit. ich hab diese form gewählt, obwohl und weil ich um diese schwierigkeiten weiß; mir ist das thema europa zu wichtig, um missverständnisse zu riskieren. und gleichzeitig wollte ich den schauspielern, die das unweigerlich sprechen werden (ich bin ja nicht da), die möglichkeit geben, sich davon zu distanzieren – ergo konstantin.
Das Interview führte Dramaturgin Alexandra Engelmann.
Konstantin Küspert: ja, einen werkauftrag des eta hoffmann theaters bamberg. :) aber tatsächlich hat mich die zunehmende demontage von projekten, die frieden und solidarität vertreten, schon lang vor dem stück umgetrieben.
Ihr Theaterstück ist gleichermaßen provozierend wie unterhaltsam. Lässt sich die politische Lage Europas nur noch mit Humor ertragen?
ich glaube, alles lässt sich wesentlich besser mit humor ertragen. und vor allem empfinde
ich selbstironie und humor als eine wesentliche eigenschaft des humanismus, und das müssen wir bewahren, wo wir können. die politische lage europas ist nicht düster, aber wir müssen schon aufpassen, dass sie nicht weiter abrutscht – weder in richtung nationalismus noch in richtung europäischer exzeptionalismus, festung europa.
Der letzte Monolog ist Konstantin zugeordnet. Ist das Ihr persönlicher Appell an alle, Haltung zu zeigen?
ja. es ist ein sehr schmaler grat, wenn man als autor die vierte wand einreißt und selbst direkt was sagt. die unmittelbare reaktion bei teilendes publikums ist abwehr, weil man als theaterbesucher so stark ironisierungen und überformungen gewohnt ist zu dechiffrieren; ein derartig überschriebener monolog erzeugt oft widerstand durch den als didaktisch verstandenen impetus. gleichzeitig macht man sich natürlich als person angreifbar, auch mit dem vorwurf der eitelkeit. ich hab diese form gewählt, obwohl und weil ich um diese schwierigkeiten weiß; mir ist das thema europa zu wichtig, um missverständnisse zu riskieren. und gleichzeitig wollte ich den schauspielern, die das unweigerlich sprechen werden (ich bin ja nicht da), die möglichkeit geben, sich davon zu distanzieren – ergo konstantin.
Das Interview führte Dramaturgin Alexandra Engelmann.